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Rose Ravenstein
 

Das Geheimnis der vergessenen Worte

Kapitel 46

 

An diesem Nachmittag herrschte bei den Lavals in der Jakobstraße die gleiche Hochstimmung wie am Tag vorher, obwohl die Flaschen verschlossen blieben, da Viola die Heimfahrt plante, um Maori zu versorgen, dem sie nur für einen Tag Futter und Wasser hingestellt hatte. Doch bevor die drei schließlich gegen Abend in Annas Wagen stiegen, hatten sie mit Heike und Thomas deren Besuch für das ganze nächste Wochenende bei Viola verabredet.

„Ich werde die ganze Woche nicht vor Aufregung schlafen können“, gestand Heike beim Abschied und zog Viola an sich. Ihr Gesicht glühte. „Niemand außer uns kann ermessen, was es bedeutet, jemanden aus der eigenen Familie zu haben, nicht Große?“

Viola küsste Heike auf beide Wangen. „Nein Kleine, das wissen nur wir“, sagte sie leise und sah Heike immer noch mit einem Blick an, der glauben wollte, was er sah, der aber zwischendurch immer mal wieder daran zweifelte.

Anna fuhr diesmal über die Autobahn zurück. „Von der schönen Landschaft kriegen wir heute sowieso nichts mit“, war ihre Begründung. Sie waren jedoch erst kurz vor der ersten Raststätte, als Troll zu einer kurzen Rast mahnte, da er dringend zur Toilette müsse.

„Schwache Blase“, kommentierte Anna und bog von der Autobahn in die Raststätte ein.

„So ist es.“ Troll, der hinter den beiden Frauen zum Rasthaus herging, verzog sein Gesicht zum breitesten Grinsen. So, als wenn er etwas aushecke.

„Kommt, ihr beiden, noch einen Kaffee“, bat Troll dann, als er von der Toilette zurückkehrte. Er hielt drei Finger in die Höhe und orderte so den Kaffee. Noch bevor die Serviererin kam, zog er sein Handy aus der Innentasche seines Jacketts. Er drückte mit undurchsichtigem Gesichtsausdruck eine gespeicherte Nummer und hielt das Handy an sein Ohr.

Viola und Anna blickten sich erstaunt an, als Troll offenbar Verbindung hatte und froh rief: „Ach du bist es! Wie schön, deine Stimme wieder zu hören, Kleiner. Hat es dir an der Nordsee gut gefallen? Ja? Na, das ist gut. Hol jetzt mal bitte deinen Vater. Und lass dich nicht abweisen, wenn er wieder mal brummt, hörst du? Sag ihm, Troll wäre dran, und es sei dringend.“

„Henrik“, flüsterte Anna und sah in Violas Gesicht, in das sich sofort eine tiefe Falte zwischen die Augenbrauen grub. „Troll spinnt also doch.“

„Henrik“, begrüßte da auch schon Troll seinen Freund mit Unschuldsmine und rührte in seinem Kaffee. Und dann, lauter: “Was sagst du? Warte, ich stelle mein Handy lauter. Hier in der Autobahnraststätte herrscht ein Höllenlärm.“

Viola und Anna sahen sich perplex an, denn außer ihnen saßen nur noch zwei Pärchen an

entfernten Tischen.

„Was ist los, Alter?“ war nun Henriks Stimme deutlich für alle zu vernehmen. „Was störst du mich beim Werkeln?“

„Das ist nicht schlimm. Deine Holzwurmtätigkeit kannst du sowieso für die nächsten Tage vergessen, Henrik.“ Troll bemühte sich, ernst zu sprechen.

„Hast du Tabletten eingeworfen?“ fuhr Henrik deutlich erbost auf. „Ich lege besser auf. Für deinen Quatsch habe ich keine Nerven mehr.“

„Hast du dich denn an der Nordsee nicht gut erholt?“ fragte Troll wie nebenbei zurück und zwinkerte dabei Viola und Anna, die ihn groß ansahen, verschwörerisch zu.

Das Schnaufen, das nun deutlich im ganzen Raum zu hören war, ließ die drei die Köpfe ducken. „Alter Idiot!“ brüllte Henrik wütend. „Dir macht anderer Leute Leid wohl Freude, oder?“  Troll ließ sich nicht beirren. „Sagtest du eben Leid, Henrik?“ fragte er anteilnehmender zurück. „Ja zum Teufel! Meinst du vielleicht, ich sei einer der Holzklötze, die ich bearbeite?“

Es folgte eine kleine Pause, in der nur Henriks tiefes Atmen zu hören war. Dann gestand Henrik mit leiser, verletzbarer Stimme: “Meine Nerven sind so dünn, Alter, weil ich Viola nicht aus dem Kopf und auch nicht aus dem Leib kriege. Jetzt kapiert?“

Annas Hand fuhr hoch und legte sich hastig verschließend auf Violas Mund, als sie sah, dass die Freundin etwas sagen wollte. „Pst, Veilchen! Jetzt bloß nichts sagen. So was kriegst du nicht alle Tage zu hören.“

Trolls Gesicht wurde ernst. „Gut, Henrik. Das wollte ich eigentlich von dir hören Aber deine Werkelei, wie du sie nennst, kannst du trotzdem für ein paar Tage vergessen. Ich bin in ungefähr zwei Stunden bei dir, dann habe ich dir viel zu berichten. Ja, es betrifft auch dich. Sehr sogar. Hauptsächlich aber geht es um Viola. Du musst etwas für sie herausfinden. Etwas existenziell Wichtiges, Henrik. Dafür musst du morgen nach Kiel fahren.“

„Nun sag schon, was du genommen hast, Alter: LSD? Oder Kokain geschnupft?“ Henrik brummte wieder, was Anna ein “Büffel“ entlockte.

„Bitte, Henrik, es ist ernst.“ Troll sprach so eindringlich, dass Henrik umschwenkte. „Weiß Viola denn davon?“ fragte er nun halblaut und ruhig. „Ich meine, hat sie dich gebeten, mich zu fragen, ob ich das tun würde?“

Trolls Blick suchte Violas Blick. Mit hochgezogenen Brauen und fragend großen Augen gab er so Henriks Frage an Viola weiter.

Viola hatte bei Trolls Worten den Atem angehalten. Auf ihren Wangen kämpften Blässe und freudiges Rot um die Oberhand. Sekunden ohne Reaktion vergingen. Dann, als Anna schon ihren Ellbogen ausfuhr, um die Freundin anzustoßen und ihr ein leises “Nun sag schon ja!“ suggerierte, da nickte Viola. Und nun gewann das erregte Rot auf ihrem ganzen Gesicht.

„Natürlich hat sie mich das gefragt“, fuhr Troll ohne Pause fort und nickte Viola zu. „Oder glaubst du, so was würde ich ohne Violas vorheriges Ja fragen?“

„Das brächtest du fertig, alter Strippenzieher.“ Henrik lachte nun zum ersten Mal. Es klang

gelöster. „Dann musst du aber morgen Ole übernehmen. Ich bringe ihn dir gleich morgen früh. Welche  Adresse muss ich in Kiel anfahren?“

„Dazu muss ich noch Anna befragen. Sie hat alle Unterlagen. Wenn ich nachher zu dir komme, bin ich aber über alles informiert. Stell schon mal ein paar Flaschen kühl, Henrik. Ich habe viel zu erzählen und muss zwischendurch bestimmt meine Stimmbänder ölen.“

„Gut, Alter.“ Henriks Stimme klang jetzt sanft. „Viola hätte ja auch nach Kiel fahren können, aber in einem Tag hin und zurück“ Henrik lachte. „Das ist was für mich und meinen Pickup Bis später denn.“

Troll sah Violas rote Wangen, hörte ihr heftiges Atmen, und er setzte hinzu: “Noch was, Henrik: Wenn du morgen zurückkommst, ruf bitte Viola an und berichte von deinen Recherchen, ja?“

„Du meinst? Das kann aber sehr spät werden. Dann schläft sie bestimmt schon.“

„Ganz bestimmt nicht, Henrik. Das hat mir Viola wörtlich so gesagt.“ Trolls Rechte drückte Violas protestierend erhobene Hand einfach nieder. „Du kannst mich auf einem Scheiterhaufen verbrennen, falls es nicht stimmt, Henrik.“

„Wehe dir! Das mache ich dann auch. Mein Wort drauf.“

Troll lachte sein verschmitztes Lachen und streichelte beruhigend Violas Hand, die verlegen mit den Fingern ihrer anderen Hand spielte. „Nicht schlimm, Henrik. Es sind schon viele Menschen verbrannt worden, die nicht mal erfuhren, weshalb. Ich wüsste wenigstens, weshalb.“

 

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