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Rose Ravenstein
 

Das Geheimnis der vergessenen Worte

Kapitel 45

 

„Warum kommst du nicht mit hinein?“ fragte Thomas am nächsten Nachmittag und hielt Troll die Tür mit der eingravierten Aufschrift “LGC Institut für Blutgruppenforschung“ weit auf.

Troll schüttelte den Kopf. „Ich warte lieber hier draußen im Garten auf euch, Thomas. Das Ganze ist zu strapaziös für meine Nerven. Anna hat es richtig gemacht und ist erst gar nicht mitgekommen.“ Er fasste sich vorsichtig an die Schläfen. „Außerdem befürchte ich, man könnte feststellen, dass ich seit unserem kleinen Umtrunk gestern zu wenig Blut im Alkoholkreislauf habe.“

„Wie du möchtest.“ Thomas Laval schien es eilig zu haben; Troll sah ihn drinnen die Treppe hinaufspringen. Er nahm immer zwei Stufen auf einmal.

Troll setzte sich im nahen Park auf eine Bank im Schatten und stopfte seine Pfeife. Aber das Rauchen beruhigte ihn heute nicht wie sonst. Immer öfter suchte sein Blick den Eingang des Instituts.

Trolls Nerven wurden noch drei Stunden lang strapaziert. Dann flog die Tür weit auf, und Thomas Laval kam mit Viola und Heike heraus, die er links und rechts untergehakt hatte. Er strahlte er über das ganze Gesicht und winkte den Maler aufgeregt herbei.

Troll klopfte so hastig seine Pfeife an seinem Absatz aus, dass ihn Funken in den Handrücken brannten. So schnell er konnte, wackelte er mit seinen krummen Beinen über den Rasen und stand bald atemlos vor den dreien. „Was-was hat es ergeben?“ rief er mit vor Aufregung heiserer Stimme.

Thomas Laval drückte die Arme der beiden Frauen fest an sich. „99,9 Prozent Sicherheit, Troll!“ rief er laut. „Heike und Viola sind Schwestern!“

Viola löste sich von der Hand, die ihren Arm hielt und ging auf Troll zu. Sie nahm ihn in die Arme und hielt ihn fest. „Troll, ich habe wieder Familie“, flüsterte sie, und Troll fühlte, wie ihre Freudentränen seine stoppeligen Wangen nässten. „Eine Familie, wenn auch eine kleine.“

„Ich hab dir fest die Daumen dafür gedrückt.“ Troll schluckte.

Heike kam nun auch die Stufen vor dem Eingang herunter, stand übermütig lachend vor Troll. „Und ich bin gar nicht verheiratet!“ rief sie unbekümmert laut. „Hurra, ich bin wieder ledig!“

Thomas verstand sie nicht sofort, ratlos blickte er Heike an. „Wie meinst du das denn, Schatz?“

„Herr Thomas Laval, Sie haben eine Heike vom Lindenbaum geheiratet…“ Heike bog sich vor Lachen. „Aber die gibt es seit jenem Unglück nicht mehr. Wenn Sie sich nun bitte meinen richtigen Namen merken würden? Nadine Meiners!“

Bei Thomas Laval fiel der Groschen. Sein Blick flog von seiner Heike zu Viola, die ihm mit roten Wangen der Aufregung zunickte.

„Spannt mich nicht auf die Folter“, drängte Troll und rieb sich das Kinn. „Erzählt.“

„Es muss damals in dem Chaos an Bord eine Verwechslung gegeben haben.“ Thomas sprach nun konzentriert. „Wir werden diesen Steward aus Kiel noch einmal eingehend nach den Ereignissen fragen müssen. Vielleicht erinnert er sich doch an Einzelheiten, die uns weiterhelfen.“

„Und die Analyse ist wirklich so genau, wie du sagst?“ fragte Troll hartnäckig in Richtung Thomas.

„Ja. Die neue STR-Technik hat eine Genauigkeit von 99,9 Prozent, das ist todsicher.“ Thomas wandte sich den beiden Frauen zu, die sich immer noch an den Händen hielten. „Die beiden hier sind wirklich Schwestern. Viola Meiners und ihre jüngere Schwester Nadine, wie ich inzwischen weiß.“ Thomas runzelte die Stirn. „Mein Gott, was das für eine Flut von Anträgen und Gesuchen bei den Ämtern gibt, bevor dein Name in deinen jetzigen geändert ist, Heike. Da graut es mir vor.“

„Wer sagt dir denn, dass ich ihn ändern möchte?“ Heike reckte ihr Kinn vor.

Thomas spielte ihr Spiel mit. „Nun, wenn nicht, dann auch gut. Ich hab ja mit Viola noch eine Ersatz-Heike.“

„Die hat ihren Büffel Henrik“, protestierte Heike.

„Hatte.“ Über Violas Gesicht flog ein düsterer Schatten. „Hatte, Heike.“

Troll trat neben Viola und legte ihr den Arm um die Schulter. „Nun hat sich auch dein Albtraum geklärt, Mädchen“, sagte er halblaut und macht eine wegwischende Handbewegung. „Aufgelöst in den DNA-Analysen. Wie einfach das geht. Und wie viel Bedrohliches hast du doch dahinter vermutet.“

Viola nickte.“Die Frau in meinem Traum war Heike, nicht?“

„Das ist der Grund für unsere Träume: Wenn wir uns etwas über lange Zeit sehr wünschen, muss das Gehirn dies verarbeiten. Und das tut es in Träumen. Die deinen waren deine Sehnsucht nach Familie. Und davon träumtest du schließlich, wusstest aber gleichzeitig noch aus der Realität, dass deine Schwester im hereinbrechenden Wasser bei dem Schiffunglück untergegangen war. Das waren die Wellen in deinem Traum.“ Troll nahm den Arm von Violas Schulter und rieb sich nun das Kinn. „Was es allerdings mit dem Licht in deinem Traum auf sich hatte, kann auch ich nur vermuten, Mädchen. Vielleicht war es das Licht aus dem gestickten Spruch deiner Mutter. Aber du konntest ja nicht wissen, dass Heike, selbst wenn sie lebte, auch ein gleiches Armbändchen von deiner Mutter besaß. Dafür warst auch du damals noch zu klein.“

Viola drückte Troll einen schnellen Kuss auf die stoppelige Wange. „Danke, Troll, für dies alles. Ich bin froh, dass es sich fast ganz mit meinen eigenen Deutungen deckt.“

„Bedank dich lieber bei Fortuna, der Glücksgöttin.“ Troll sprach nun laut, als ob er eine Predigt halten wolle. „Fortuna, eine von den alten Göttern, -an die nur noch einer glaubt. Und das bin ich. Die alten Götter, vertraute Wesen wie du und ich. Mit allen uns bekannten Lastern auch. Und nicht solche zusammengeklebten Comicfiguren wie die heutigen. Pah!“ Trolls Hand machte wieder eine heftige Wegwischbewegung. „Vergiss den Dank bloß nicht, Mädchen“, schärfte er Viola noch einmal ein. „Auch Fortuna ist sehr launisch. Und ihr hast du schließlich jetzt die nächste Runde mit Henrik zu verdanken“ Troll schmunzelte listig.

„Er spricht tief aus seiner Götterwelt“, spottete Heike dazwischen.“Im Moment befindet er sich in irgendeiner antiken Orakelstätte.“

„Wieso?“ Troll tat unschuldig. „Ohne Fortuna wäre Heike nicht aus Violas fast vergessener Vergangenheit aufgetaucht. Und ohne Heike hätte diese Intrigantin aus der Eifel Henrik nicht die DVD zuspielen können.“ Troll schien seine helle Freude an den gespannten Gesichtern seiner Zuhörer zu haben. Er rieb sich die Hände. „Auch wenn Henrik erst einmal nach der DVD in Panik die Flucht ergriffen hat. Das machen Büffel immer so, wenn sie sich zu Tode erschrecken. Stampede nennt man das bei ihnen.“ Er lachte zufrieden.

„Wieso willst du denn wissen, dass dein Büffel zurückfindet? In die nächste Runde, wie du dich ausdrückst?“ fragte Thomas.

„Ich kenne meinen Henrik.“ Troll rieb seine Handflächen ineinander. „Außerdem, ein Büffel kann mal einen Bach auf seiner Stampede trüben, aber so ein Bach rauscht bald danach wieder hell und klar. Und wer sich darauf versteht, der hört ihn sogar erzählen.“

Violas Wangen färbten sich in schöner Verlegenheitsröte. Sie hakte Heike unter und zog sie mit sich fort in Richtung Auto. „Komm, Schwesterchen“, sagte sie zärtlich. „Lass Troll nur spinnen.“

 

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