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Rose Ravenstein
 

Das Geheimnis der vergessenen Worte

Kapitel 42

 

Das geschmackvoll renovierte Haus mit den großen Fenstern und dem Praxisschild in der Jakobstraße war leicht zu finden. Anna hatte auch bald einen Parkplatz in der Nähe gefunden, und so standen Viola, Troll und Anna bald vor der rustikalen, handgeschnitzten Haustür.

„Guckt mal.“ Troll wies auf einen Spruch, der in eine kleine, ovale Keramiktafel eingeritzt war. „Das zeigt schon, was uns für Leute erwarten.“ Dann las er laut vor: „Unter diesem Dach sagen wir alle du zueinander, auch zu Besuchern.“

„Die Lavals scheinen ja unkomplizierte Leute zu sein.“ Anna sah auf ihre Armbanduhr. „Die Praxis ist jetzt nicht mehr besetzt. Am besten, wir klingeln oben privat.“ Und schon drückte sie auf den Messing-Klingelknopf.

Bald ertönte auch ein Summen, und die schwere Tür öffnete sich selbsttätig. „Vornehm geht die Welt zugrunde“, bestaunte Troll die breite, geschwungene Holztreppe nach oben und die bunten, lustigen Bilder mit naiver Malerei an den Wänden. „Aber einladend.“

Schon bald, nachdem sie oben auf dem Treppenabsatz angekommen waren, waren aus der Wohnung Schritte zu hören. Viola packte Annas Arm und klammerte sich daran „Bleib in meiner Nähe, Anna“, bat sie leise.

„Immer, Veilchen.“

Die Tür wurde schwungvoll geöffnet, und im Rahmen stand Thomas Laval, mit gepflegtem, dunklem Knebelbart. Lebendige Augen sahen erst zu Anna, dann zu Troll–und blieben dann gebannt an Viola hängen. Sie wurden groß, ungläubig. Er holte Luft für eine Begrüßung, aber die Luft blieb irgendwo in seiner Luftröhre stecken.

„Wer ist es denn, Tommi?“ rief nun aus einem der hinteren Zimmer eine helle, melodische Frauenstimme. Und als keine Antwort kam, noch einmal: “Tommi-Schatz, wer ist denn gekommen?“

Thomas Laval strich sich völlig ratlos über den Bart. Dann rief er über seine Schulter: “Du bist es, Heike. Du stehst hier vor der Tür!“

Heike Laval lachte hell. „Schatz, hast du schon was getrunken? Ist das nicht ein bisschen früh am Abend?“

„Bin nie so nüchtern gewesen, Heike!“ rief Thomas Laval und fing sich nun. „Aber komm mal schnell! Und halt dich direkt an der Wand fest, sonst fällst du um.“ Ergab die Tür frei und deutete den dreien an, hereinzukommen.

Heike Laval kam aus der Küche in den Flur. In den Händen hielt sie einen Teller und trocknete ihn ab. Ihr Blick blieb sofort an Viola hängen. Der Teller rutschte ihr aus den Händen, zersprang mit einem Knall am Boden. Ein hoher, lauter Schreckensruf gellte durch den Flur. „Tommi, was ist das?“ kam es dann erschrocken über ihre Lippen. „Macht ihr einen Scherz mit mir?“

„Ich weiß auch nicht, wer das ist, Schatz.“ Thomas Laval legte beschützend einen Arm um

seine Frau. Dann wiederholte er die einladende Geste seiner Hand. „So kommt doch schon herein.“ Er führte die drei in das weitläufige, sonnendurchflutete Wohnzimmer, deutete auf die zwei bunten Sofas, die im Winkel zueinander standen. „Setzt euch doch.“

Viola schüttelte den Kopf und blieb stehen. „Ich sehe, ich muss sofort etwas aufklären“, begann sie tapfer und holte tief Luft. „Es dauert etwas, seid bitte geduldig.“

„Möchtest du etwas zu trinken?“ fing sich nun auch Heike Laval, als sie die bebende Viola sah.

„Einen Schnaps oder wenigstens ein Glas Wasser?“

„Gib mir bitte ein Glas Wasser“, bat Viola. Sie sah hilfesuchend zu Anna hin, die ihr aufmunternd zunickte.

Als Viola das Glas halb geleert hatte, stellte sie Anna, Troll und sich vor und erzählte dann in der nächsten halben Stunde von sich selbst, ihrer jetzigen Tätigkeit für den Naturschutzbund. Sie erwähnte kurz, dass sie seit einem Unglück, das geschah, als sie noch klein war, Vollwaise sei, sie sprach von ihrem Alptraum, über die DVD und deren Inhalt, die Henrik zugeschickt worden war. Über seine Flucht mit Ole an die Nordsee. Ihr Bericht endete mit Trolls Idee, dem Geheimnis auf den Grund zu gehen, nachdem er auf dem Videoclip die Nummer des Taxis am Rhein entdeckt hatte. „Ich habe die DVD nicht mit“, schloss sie schließlich mit trockenen Lippen, „aber ein Standfoto daraus. Hier, seht euch das mal an.“

Heike und Thomas Laval, die nebeneinander auf einem Sofa saßen, waren sofort im Bild. „Na klar, Schatz“, rief Thomas, „das ist von unserem zweiten Hochzeitstag Unsere Bootsfahrt.“

Heike sah Viola angespannt an. „Also ich kann deinen Henrik oder wie er heißt, verstehen. Wenn mir jemand so einen Clip geschickt hätte mit dir und Tommi drauf…“

„Dann wärest du auch verduftet?“ wollte Thomas wissen.

Heike Lavals stets fröhliches Naturell kam durch. Sie lachte, schüttelte den Kopf. „Nee, ich wäre nicht verduftet. Ich hätte dich mit einem Küchenmesser massakriert.“

„Da habe ich ja Glück gehabt.“ Thomas drückte seiner Frau einen schnellen Kuss auf die Schläfe. Dann wurde er ernst und sah in die Runde. „Was schlagt ihr vor, was wir jetzt tun sollen? Trotz deutlicher Unterschiede bei näherem Hinsehen sehen wir zwei Frauen vor uns, die sich verblüffend ähnlich sehen. Zwillinge sind es nicht, und Schwestern auch nicht. Heike hat keine Schwester. Leider“, fügte er mit einem verliebten Blick auf Heike hinzu, „sonst wäre ich doppelt verliebt. Was sollen wir also tun, denn für Viola hat das ja verdammt unangenehme Konsequenzen?“

„Am besten erzähle ich jetzt mal von mir“, füllte Heike die entstandene Pause der Ratlosigkeit.

„Danach werfen wir alle Fakten in einen Topf, rühren kräftig um–und sind dann bestimmt genauso schlau wie vorher.“ Sie lachte ihr unwiderstehliches Lachen, dass alle ansteckte. Auch Viola, -die in diesem Moment noch nicht wusste, dass ihr Lachen schon bald nach Heikes ersten Sätzen gefrieren würde.

 

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