zurück zu Kapitel 39    Homepage    Inhaltsverzeichnis    vorwärts zu Kapitel 41

 

Rose Ravenstein
 

Das Geheimnis der vergessenen Worte

Kapitel 40

 

Am frühen Nachmittag dieses Tages erreichte sowohl Anna als auch Troll die gleiche SMS von Viola über Handy: Komm bitte zu mir, sobald Du kannst. Bitte! Ich brauche Deine Hilfe. Es ist etwas passiert.

Troll war an diesem Tag wieder zum Malen draußen in der Heide gewesen, so bekam er Violas Hilferuf erst am frühen Abend. Er fuhr noch in derselben Stunde los, nachdem er schnell etwas gegessen hatte.

Anna in Aachen hatte sofort alles in ihrem Büro stehen-und liegenlassen, hatte sich zwei freie Tage genommen, die ihr noch aus geleisteten Überstunden zustanden, und war dann in die Eifel gefahren. Dort stieg sie gerade hinter der Blockhütte aus ihrem Wagen, als auch Trolls vorsintflutliches Gefährt mit ächzendem Motor die Serpentinen heraufkam.

Viola stand oben auf der Terrasse und stützte sich auf das Geländer. Ihr Gesicht war weiß,

unter ihren Augen lagen dunkle Ringe.

„Veilchen! Was machst du nur für Sachen?“ Anna nahm die Freundin in die Arme, hielt sie fest. In der Zwischenzeit war auch Troll die Stufen heraufgeklettert und sah Viola mit prüfendem, besorgtem Blick an.

„Danke, dass ihr gekommen seid.“ Violas Stimme war mehr ein heiseres Flüstern. „Aber kommt hinein. Ich fürchte, das Maori hier draußen sein Begrüßungsspektakel loslässt, -und das kann ich im Moment wirklich nicht gebrauchen.“ Sie ging voraus, ließ sich drinnen in einen Sessel in der Nähe des Fernsehers fallen. Dann begann sie zu erzählen. Beginnend mit Oles heimlichem Besuch am Morgen in der Bäckerei, von der DVD, die er zu Hause einfach aus dem Player genommen und ihr gebracht hatte. „Die Vorgeschichte kennt ihr ja“, schloss Viola leise. „Henriks rätselhafte Flucht. Ohne, dass ich bis eben wusste, warum.“ Ihre Lippen schlossen sich zu schmalen, verbitterten Strichen. „Jetzt weiß ich es.“

„Du weißt…?“ Anna rutschte bis auf die vordere Kante ihres Stuhls und sah die Freundin mit großen Augen an. Auch Troll schien völlig überrascht, er rieb sich unablässig sein stoppeliges Kinn.

„Schaut euch das hier an.“ Viola schaltete den Fernseher ein, wählte den Videokanal und drückte auf der Fernbedienung den Startknopf für den Player. Bleierne Totenstille herrschte in den nächsten Minuten, nur ab und zu unterbrochen von Trolls ungläubigem Knurren oder einem Schreckensruf von Anna.

Als das Taxi auf dem Clip auf der Rheinuferstraße in Köln dann in der Ferne immer kleiner wurde, brach der Clip ab. Troll fing sich als erster. Obwohl auch er sichtlich erschrocken war, schlug er mit der flachen Hand auf die Sofalehne. „Egal, was auch immer heute noch passiert“, rief er rau, „es wird aber bestimmt besser sein als diese nervende Ungewissheit der vergangen  Wochen.“ Anna hielt Viola im Arm, die haltlos weinte. „Veilchen, Troll hat recht“, flüsterte sie der Freundin ins Ohr, „jetzt wird sich alles aufklären, sollst sehen.“

„Zuerst müssen wir mal rausbekommen, wer diese Frau auf dem Videoclip ist.“ Trolls Gesicht verlor die Schreckensblässe. Er sah zu Viola hinüber. „Ich nehme doch nicht an, dass du doch die Frau auf dem Clip bist.“

„Troll!“ mahnte Anna schneidend, worauf Troll beide Hände hob. „Schon gut, das war ein

schlechter Scherz von mir. Viola kann es übrigens gar nicht sein, trotz aller verblüffenden Ähnlichkeit. Habt ihr es nicht bemerkt?“

Bei Trolls Worten löste sich Viola aus Annas Armen, ihr Kopf ruckte zu Troll herum. Hoffnung lag in ihren verweinten, fragenden Augen.

„Als Maler bin ich gewohnt, genau zu beobachten.“ Troll wurde zusehends ruhiger. „Also, Viola setzt beim Gehen immer den linken Fuß schräg auf, die Frau auf dem Clip aber den rechten. Und auf der Nahaufnahme des Pärchens auf dem Heck des Schiffes fehlen Violas Grübchen neben den Nasenflügeln.“ Anna sprang auf die Füße. „Troll, du bist ein Genie!“ Wir müssen jetzt diese Frau finden!“ Sie zog die Freundin einfach an der Hand auf die Füße, wischte ihr mit dem Handrücken die Tränenreste von den Wangen.

„Viola, gib mir mal deine kleine Digitalkamera“, ordnete nun Troll einfach an. „Lösch alle Bilder Deiner Arbeit in der Heide oder speichere sie, wenn du sie noch brauchst. Ich mache jetzt ein paar Standfotos von deiner unglaublichen Doppelgängerin. Die werden wir bei der Gegenüberstellung brauchen. Und ihr zwei geht solange zu Maori auf die Terrasse; es ist nicht nötig, dass ihr euch das noch einmal alles anseht.“ Troll deutete auf die Terrassentür.

„Aber wie willst du sie denn finden?“ Violas Stimme gewann an Festigkeit. Farbe kehrte in ihr Gesicht zurück.

„Bevor ihr aber rausgeht, fahr mal eben deinen Computer hoch, Viola, und such die Telefonnummer der Kölner Taxizentrale heraus.“ Auf Violas fragenden Blick lachte Troll. „Das Kennzeichen des Taxis, mit dem die beiden Glücklichen davonfuhren, ist deutlich auf dem Clip zu sehen. Und der Fahrer scheint die beiden gut zu kennen, -so, wie er ihnen beim Abholen zuwinkte. Das kriege ich raus. Gib mir jetzt mal bitte dein Handy.“

Es dauerte danach nur fünf Minuten, da flog die Tür zur Terrassentür auf und Troll stürmte so ungestüm auf die Terrasse, dass Maori erschrocken eine unfreiwillige Runde um die Blockhütte drehte und laut kreischend dabei protestierte.

„Ich habe alles, Kinder!“ rief Troll strahlend und hielt einen Notizzettel hoch. „Die Frau in der Taxizentrale hat den Namen des Fahrers natürlich anhand der Autonummer sofort gewusst. Wir sollen morgen am frühen Nachmittag vorbeikommen, da wäre meist nicht viel zu tun. Und sie hat gesagt, dass sie dann den Fahrer dieses Taxis mal kurz über Funk zur Zentrale ordern würde. Was sagt ihr beide nun?“

„Ich kann das Wort Genie ja nun nicht mehr steigern, aber ich sollte es.“ Anna fiel dem alten Maler um den Hals, der dies sichtlich genoss.

Viola reichte ihm die Hand. „Danke, Troll.“ Sie atmete tief durch. „Ja, lasst es uns morgen so machen, wenn ihr zeitlich könnt. Das nennt man dann wohl, den Stier bei den Hörnern packen, nicht wahr?“

Anna legte ihre Hand auf Violas Schulter. „Erst den Stier, und dann den Büffel Henrik. Nicht wahr Veilchen? Oder Bison, wie du immer sagst.“

Viola verschloss Anna mit ihrer Hand die Lippen. Aber sie nickte.

 

zurück zu Kapitel 39    Homepage    Inhaltsverzeichnis    vorwärts zu Kapitel 41