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Rose Ravenstein
 

Das Geheimnis der vergessenen Worte

Kapitel 32

 

Viola kam an einem Sonntagnachmittag von Köln zurück. Ihr letzter Vortrag in der jetzigen Serie war wieder ein voller Erfolg gewesen. Die nächste Reihe sollte erst wieder im Herbst starten.

„Hallo, Maori“, begrüßte sie den Kea, der es mittlerweile gewohnt war, mal für einen Tag allein zu bleiben. Sie kraulte ihn in den kurzen Kopffedern, und Maori verdrehte genießend die Augen. „Jetzt lasse ich dich bis zum Herbst nicht mehr allein“, raunte sie ihm zu, bevor sie ihn nach draußen auf die Terrasse brachte, wo er sofort ein paar Runden über den Garten drehte und sich dann auf dem Terrassengeländer niederließ.

Viola wusch in der Küche einen Apfel und biss hungrig hinein. Zum Kochen hatte sie jetzt nach der Fahrt noch keine Lust. Ich hab dafür ja noch den ganzen Abend Zeit, dachte sie. Zu Henrik und Ole fahre ich dann morgen früh hinunter, wenn ich ausgeschlafen bin. Aber ich könnte mich kurz zurückmelden. Sie kramte ihr Handy aus dem kleinen Lederrucksack, drückte die Taste mit Henriks gespeicherter Nummer. Die gewohnten silberhellen Ruftöne erklangen, erst leise lockend, dann immer lauter, fordernder. Aber es meldete sich weder Henriks geliebte tiefe Stimme noch Oles helle Kinderstimme. Viola brach den Versuch ab und legte das Handy auf den Tisch. Eine halb erstaunte, halb unmutige Falte drückte sich zwischen ihre Augenbrauen. Schade, dachte sie enttäuscht, denn in ihrer Erwartung war Henriks Stimme ihr schon ganz nahe gewesen.

„Sicher sind die beidem im Schwimmbad oder in einer der vielen Talsperren hier schwimmen. Bei dem schönen Wetter ist das wohl klar!“ rief sie sich zur Ordnung, und ihre kleine Enttäuschung war bald vergessen. Sie breitete draußen auf dem Tisch der Terrasse alle Unterlagen und Materialien aus, die sie für den morgigen Tag in der Heide und im Moor brauchte. Da so langsam das Ende ihres Forschungsauftrages für den Naturschutzbund abzusehen war, bemühte sie sich, einige Bereiche zusammenzufassen und auch draußen in der Heide nicht alles aufzulisten, was nicht unbedingt allergrößte Priorität hatte

Maori beäugte von seinem Geländer aus mit schief gelegtem Kopf ihre Arbeit. Einmal unterbrach er die Stille mit einem zärtlichen “Olala.“

Viola hob kurz den Kopf, kraulte den Kea. „Danke. Ich lieb dich auch“, raunte sie froh und packte weiter den Rucksack für morgen.

Erst als sie an diesem Abend kurz vor dem Schlafengehen noch einmal auf die Terrasse hinaus ging und sich lang auf die noch warmen Holzdielen legte, um so den klaren Nachthimmel mit Myriaden von Sternen gut sehen zu können, zog die leichte Enttäuschung des Nachmittags wieder in ihr Herz.

Er hätte doch wenigstens jetzt anrufen können, dachte sie ein wenig bedrückt. Spürt Henrik denn nicht, wie sehr ich mich gerade in diesem Moment nach ihm sehne?

Du könntest ihn ja auch selbst nochmal anrufen, versuchte sie da eine leise, verlockende Stimme in ihr. Brauchst nur aufzustehen und das Handy zu holen…

Aber protestierender Stolz hielt sie davon ab. „Nee; das hab ich ja heute schon getan“, sagte Viola laut in den Nachthimmel hinein. „Außerdem - wenn er sich dann wieder nicht meldet, -was dann?“ Doch Unzufriedenheit über sich selbst bedrückte sie. So erhob sie sich bald danach und ging ins Haus. Sie wickelte sich trotz der Sommerwärme fest in ihre Bettdecke ein, als wenn sie sich vor etwas Bedrohlichem schützen müsse. Aber es wurde ihr nicht recht warm, und sie schlief erst spät ein.

 

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