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Rose Ravenstein
 

Das Geheimnis der vergessenen Worte

Kapitel 29

 

Weder Henrik noch Viola gaben in den nächsten Tagen ihren sonst so nahen Freunden Troll und Anna ihr Geheimnis preis. Ohne sich darüber abgesprochen zu haben, wollten beide die Frische ihrer Liebe noch eine Zeitlang für sich bewahren.

Anna in Aachen wunderte sich zwar, dass ihre Freundin sich seit fast zwei Wochen nicht gemeldet hatte, was ungewöhnlich war; doch sie war nicht besorgt. Troll erging es da besser. Er war eines Morgens schon früh zu Henrik gefahren, um sich ein Werkzeug auszuleihen, das er für seine freiwillige Renovierung des Kindergartens brauchte. Troll war an diesem Morgen nicht mit seinem Auto Marke Eigenbau unterwegs. Seine Werkstatt hatte ihm einen Vorführwagen eines neuen Modells zur Verfügung gestellt, um ihn zum späteren Kauf zu animieren. Troll hatte unterhalb Henriks Haus keinen Parkplatz gefunden, so hatte er ein paar Wagenlängen entfernt geparkt. Und gerade, als er aussteigen wollte, sah er Viola. Und die  Art, wie sie die Auffahrt heruntergesprungen kam, ließ ihn hinter dem Steuer in Deckung verharren.

Mit immer reicher an Lachfältchen werdenden Augen sah Troll der jungen Frau zu, die ihre Haare im Nacken zusammenband und schließlich nach einem forschenden Rundblick hastig die Bluse in den Bund ihrer leichten Jeans stopfte.

Sie ist eben erst aufgestanden! schoss es Troll durch den Kopf .Seine Hand krachte auf sein Knie, und sein kaum unterdrücktes “Sakra!“ hätte ihn fast verraten.

Troll sah Violas Wagen nach, bis er um die nächste Kurve verschwunden war. Dann kletterte er zu Henriks Werkstatt hoch. Er benahm sich möglichst unauffällig, fragte nichts, erzählte nichts. Genau wie Henrik auch, der seinem Freund das Werkzeug auslieh und sich dann wieder über einen Holzstamm beugte.

Erst als Troll nach einer Viertelstunde wieder in seinem Wagen saß, ließ er seinen Emotionen freien Lauf. Er kurbelte das Seitenfenster herunter und übertönte den startenden Motor: „Kann es sein, Henrik, dass hier ganz in der Nähe der Blitz eingeschlagen hat? Und dass es dabei auch mächtig gefunkt hat?“ Als Henriks Kopf herumfuhr, gab Troll Gas, rief aber noch: „Ihr seid aber schöne Flammen, ihr beide!“

Henrik sah dem Freund ein paar Sekunden lang nach. Starr vor Staunen. Dann packte er ein Stück Holz und warf es Troll im hohen Bogen hinterher. „Elender Waldschrat!“ rief er ihm laut nach. Und dann leiser, begleitet von einem breiten Lächeln: „Lieber…“

Ein paar Tage später fanden Anna wie auch Troll einen Brief von Ole in ihren Briefkästen.

„Einladung!“ stand in großen Lettern  auf dem Umschlag. Der Brieftext begann mit einem in Computerschrift gedruckten Hinweis von Henrik: Liebe Freunde! Ich fungiere heute lediglich als Sekretär meines Sohnes, dem ich versprochen habe, seine Einladung an Euch zu seinem Geburtstag auf dem PC zu schreiben und auszudrucken. Ich musste ihm versprechen, alle seine Worte so zu schreiben, wie er sie mir diktiert hat und nichts zu verbessern oder wegzulassen. Das habe ich getan. Ich wasche deswegen meine Hände in Unschuld. Henrik.“

Es folgte eine Einladung Oles zu seinem siebten Geburtstag. Er wollte ihn im nahe gelegenen Vergnügungspark Phantasialand feiern. „Ihr wisst ja, wo das ist“, hatte er Henrik diktiert. „Und kommt alle! Wir sind dann eine tolle Truppe mit fünf Leuten: Troll, Anna, Viola, Henrik und ich.  Das wird cool. Bezahlen müsst Ihr aber selbst; mein Taschengeld reicht nur für ein Eis für Euch. Ein kleines. So, ich hoffe, Ihr habt alles kapiert, denn ich muss nun Schluss machen, denn Henrik drängelt schon wieder. Er hat kaum noch Zeit für mich, seit Viola nun so oft hier bei uns ist. Oder wir bei ihr oben in der Hütte. Die zwei halten sich alle Augenblicke aneinander fest, als wenn sie sonst umfallen würden. Und küssen tun sie sich auch andauernd. Am schlimmsten aber ist, dass die beiden schon ein paarmal vergessen haben, Maori, Tiger und mich zu füttern. Euer Ole.“

Anna und Troll reagierten unterschiedlich auf Oles Worte. Anna, die aufgrund ihres fröhlichen Wesens ihre Empörung über Henrik in der Zwischenzeit schon vergessen hatte, brauchte ein paar Sekunden, um sich von ihrer Verblüffung zu erholen.

Dann stieß  sie einen solch hellen, lauten Freudenschrei aus, dass die Passanten unten auf der Straße verwundert nach oben sahen.

Troll, der ja schon mehr wusste, griff in Ruhe nach seiner Pfeife, setzte sich draußen in seinem Garten auf eine Bank und ließ blaue Wölkchen aufsteigen. Tiefe Zufriedenheit lag auf seinem braunen, faltigen Gesicht.

 

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