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Rose Ravenstein
 

Das Geheimnis der vergessenen Worte

Kapitel 27

 

Ungeduldig hatte Henrik darauf gewartet, Viola schon am nächsten Tag anrufen zu können. Als er dann kurz nach Mittag anrief, dauerte es einige Zeit, bis Viola sich meldete. Gut, dass Henrik nicht durch die Leitung sehen kann und mich somit schon eine halbe Minute hier wartend neben dem läutenden Telefon hat stehen sehen, dachte sie und lachte über sich selbst.

Sie verabredeten sich kurz entschlossen für den heutigen Abend. „Was muss ich mitbringen?“ fragte Henrik abschließend.

„Nichts.“ Viola spürte schon die kribbelnde Aufregung, die sie in den nächsten Stunden nicht mehr loslassen sollte.

„Mich auch nicht?“ Henrik kokettierte ganz offen.

„Sie sind doch schon rein äußerlich kein Nichts. Also ausnahmsweise.“

Viola konnte sich während des Nachmittags nicht mehr auf ihre Arbeit konzentrieren. Sie ertappte sich dabei, dass sie vor ihrem Kleiderschrank stand und ein Teil nach dem anderen musterte. Schließlich entschied sie sich für kurze, weit geschnittene, cremefarbige Baumwollshorts, darüber eine bequeme kurzärmelige tannengrüne Bluse. „Söckchen gibt`s heut nicht“, schloss sie schließlich die Modenschau ab. „Dafür ist es heut zu warm.“ Ein Blick auf ihre langen, sonnengebräunten Beine bestätigten ihr ihre Entscheidung.

„Olala“, kommentierte auch Maori, der ins Schlafzimmer getrippelt war, ihre Wahl.

„Danke für das Kompliment.“ Viola beugte sich zu Maori hinunter und streichelte ihm über die Kopffedern.

Pünktlich mit der untergehenden Sonne fuhr Henrik hinter die Blockhütte

und sprang aus dem Wagen. Als er vor Viola stand, machten beide große Augen der Überraschung, denn Henrik trug auch cremefarbene Shorts, dazu allerdings ein gelbes Polohemd. Und seine nackten Beine steckten auch ohne Strümpfe in ausgetretenen, bequemen Ledersandalen.

„Partnerlook“, kommentierten beide wie aus einem Mund.

„Anna hätte jetzt gesagt: Na, wenn das kein böses Omen ist!“ setzte Viola übermütig hinzu. „Dann also los.“ Henrik wollte ihr in den Pickup helfen, aber Viola schüttelte den Kopf. „In fünfzig Jahren vielleicht.“

„Gut. Ich erinnere Sie dann daran.“

Sie sprachen während der Fahrt kaum ein Wort, abgesehen von Violas Angaben über die Route zum Baraque Michel, dem belgischen Teil des Moores. Henrik parkte den Pickup auf einem Platz neben der einzigen Straße durch das Moor, folgte Viola über schmale, verschlungene Pfade–und hatte Mühe, den Anschluss zu halten, denn sie ging und sprang in ihren flachen Schnürsandalen sicherer als Henrik in seinen ausgetretenen Latschen. Der schmale Pfad endete schließlich am Rand der weiten Moorfläche, von der ein wenig Wind her wehte und der Hitze, die unter den Kiefern hing, die Schwere nahm. „Hier ist der Platz, an dem ich war“, sagte Viola schließlich und nahm ihren kleinen Rucksack vom Rücken. Ihre Hand beschrieb einen Kreis. „Durch den Wind weitgehend mückenfrei. Die Kiefern stehen nicht zu dicht, sodass der Ziegenmelker hier jagen kann. Und die Besenheide ist ideal für ihn als Brutplatz.“ Viola zeigte auf eine Stelle neben sich im sonnengetrockneten Moos. „Hier ist es schön weich. Komm, setz dich.“ Henrik, der dicht vor Viola stand, sah sie überrascht an. „Sagten Sie eben…?“ Natürlich färbten sich Violas Wangen in Verlegenheit, während sie ihre Rechte vor den Mund legte. „Verzeihen Sie, das ist mir einfach so rausgerutscht.“

Henrik nahm ihr, ohne zu fragen, den kleinen Rucksack ab und ließ ihn achtlos in das Moos gleiten. „Wovon das Herz voll ist, davon quillt der Mund über.“ Henrik lachte, und sein Lachen verriet Befangenheit. „Aber es hörte sich schön an, somit gibt es nichts zu verzeihen. Ich bitte um Fortsetzung.“ Er legt Viola spontan beide Hände auf die Schultern. „Als Gegenleistung biete ich Viola und du an.“

Viola spürte die Wärme seiner Hände von ihren Schultern in die Kniekehlen wandern, die sie

in Puddingknie verwandelte. Sie nickte, ohne überlegen zu können.

„Schön.“ Henrik drückte noch einmal ihre Schultern, dann ließ er sich auf die Fersen nieder. Seine Hand streichelte das Moos. „Ein richtiges Nest hast du hier.“ Er setzte sich, umspannte seine nackten Knie mit beiden Händen. „Wenn du magst, erzähl mir jetzt etwas über den Ziegenmelker.“

In der nächsten Viertelstunde erfuhr Henrik alles über den seltenen und seltsamen Vogel, um dessentwillen sie hier waren. Über seine Art, sein Habitat, sein Brut-und Balzverhalten, sein Aussehen, das ihn tagsüber praktisch unsichtbar machte. Nur über seinen Gesang sagte sie nichts. Darüber erfuhr Henrik erst etwas, als die Sonne längst untergegangen war und einen letzten rotgelben Widerschein im Westen zurückgelassen hatte, aus dem sich die Kiefern wie schwarze Scherenschnitte abhoben.

„Da ist er“, sagte Viola plötzlich leise in die Stille hinein. „Horch.“ In plötzlichem Jagdfieber legte sie ihre Hand auf seinen Unterarm.

„Ich höre nichts“, flüsterte Henrik und genoss ihre Hand, von der er nicht hätte sagen können, ob sie nun weich oder fest war. „Ich höre nur fernes Brummen von einem nervigen Moped.“

Viola kicherte leise. „Das Moped, das ist er. In der Balz. Wenn er ein Weibchen in der Nähe weiß und erregt ist, wechselt dieses Orrorror in ein helleres Errerrer über.“

„Du bist ja ein wandelndes Lexikon“, staunte Henrik. Verblüfft sah und hörte er dann, wie Viola nun gedämpft in die Hände klatschte.

„Das Männchen schlägt so mit den Flügeln gegen seine Brust. Darauf fliegt das Weibchen. Sei ganz still jetzt.“ Viola machte sich neben ihm im Sitzen klein.

Henrik ließ seinem Übermut freien Lauf. „Schade, dass du ein Mensch bist, sonst würde ich jetzt mit den Flügeln gegen meine Brust klatschen.“

„Pst, Flügelmann, da kommt sie geflogen. Es hat funktioniert!“ Viola deute auf den schwachen Restschein der Sonne im Westen, in dem man nun deutlich einen mittelgroßen Vogel heranflattern sah.

„Du bist eine Schamanin.“ Henrik fühlte ihre Erregung auf sich übergreifen. Er brachte im Dunkeln sein Gesicht an ihre Wange und drückte behutsam seine Lippen darauf. „Das ist deine Künstlergage“, flüsterte er.

Viola fühlte ihr Herz ganz oben im Hals schlagen, und sie hatte große Mühe, ihre aufsteigende Erregung nicht durch heftiges Atmen zu verraten. Diese Erregung, die dann zu Verlangen wurde, als sich ihre nackten Knie wie zufällig aneinander lehnten und keiner von beiden

das seine zurückzog. Erst nach einer ganzen Weile kostbarer Stille drückte Henrik mit seinem Knie gegen das ihre und flüsterte in ihre Richtung: “Dir ist aber heiß, Viola.“

„Dir aber auch, Henrik.“ Violas Stimme war kaum zu verstehen.

Doch Henrik verstand sie. Er drückte mit seiner großen Hand behutsam gegen Violas Schulter und ließ erst nach, als die junge Frau tief atmend im warmen Moos lag, die Arme widerstandslos neben sich. Er beugte sich über Violas Gesicht und flüsterte heiser: “Wie war das noch mit dem Ziegenmelker bei der Balz? Sein normaler Orrorror-Ruf steigert sich in dichter Nähe zu seinem Weibchen, -zu was noch?“

Viola gab den Widerstand gegen ihre Lider auf, die sich schließen wollten. „Zu einem Errerrer, Henrik“, antwortete sie leise.

Errerrer, errerrer“, flüsterte Henrik heiser, und sein Gesicht sank in ihre Halsbeuge, in der er die Ader wild pochen fühlte.

Violas Hände umfassten Henriks Schultern und zogen ihn zu sich. Ihr Leib bog sich seinen Händen entgegen.

 

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