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Rose Ravenstein
 

Das Geheimnis der vergessenen Worte

Kapitel 25

 

Das regionale Handelsblatt mit Henriks und Violas Bild auf der Titelseite lag wie zufällig auf der Verkaufstheke, als Viola die Bäckerei betrat. Sie hatte heute Frühdienst, und sie war froh deswegen, weil der Tag sehr heiß zu werden schien und sie so mittags schon zu Hause im Schatten der Buchen sein konnte.

„Schönes Bild von Ihnen beiden“, kommentierte Frau Wolfgarten, kaum dass Viola aus dem Umkleideraum kam und sich die kleine weiße Servierschürze umband. Sie wies wie beiläufig auf die Zeitung auf der Theke, sprach scheinbar aufmerksam mit einer Kundin, doch sie ließ Viola nicht aus den Augenwinkeln. „Nur der Text ist ein wenig verwegen, nicht wahr?“setzte sie beiläufig hinzu.

Viola nahm das Blatt und las die auffällig große Bildunterschrift: „Das Paar der Paare!“ Darunter standen in kleinerer Schrift einige Sätze von der Feier im Kindergarten und der geplanten Renovierung der Räume. Das Paar der Paare! Viola war heilfroh, dass sie sich in diesem Moment zum Regal hinter sich umdrehen musste, um ein Brot für eine Kundin herauszunehmen. So konnte sie die jäh aufflammende Verlegenheit in ihren Wangen vor den wachen Augen ihrer Chefin verbergen. Was Henrik wohl denkt, wenn er das liest? ging es ihr in den nächsten Stunden nicht aus dem Sinn. Sicher wird er wütend darüber sein. Oder aber mit beißendem Zynismus reagieren. Bestimmt.

 Gegen Mittag verlor sich ihre Anspannung wegen des Bildes ein wenig. Auch, weil nun die Sonnenschirme im Garten gegen die heutige Hitze aufgespannt, die Eis-Fahnen ausgerollt und aufgesteckt und die ersten Eisbecher zusammengestellt und in den Garten getragen werden mussten. Das verlangte von Viola, sich zu konzentrieren, und sie vergaß die Erregung wegen des Titelbildes mit Henrik schließlich ganz. Bis sie eine plötzlich eine helle Kinderstimme rufen hörte: “Viola! Viola!“

Viola schnellte herum. Der Eisbecher, den sie gerade auf einem Tablett zu einem der Tische trug, kam gefährlich ins Rutschen.

Ole und Henrik schlenderten heran, beide lässig eine Hand in den Taschen ihrer hellen Shorts. Ole winkte aufgeregt, Henrik hielt eine Zeitung unter den Arm geklemmt, von der Viola gleich wusste, um welche es sich handelte. Ihr Puls startete durch.

„Hallo Holzwürmer“, versuchte Viola dennoch eine unbefangene Begrüßung und reichte beiden die Hand. „Schon aus den Betten?“

„Viola!“ Ole winkte Viola zu sich herunter, wie er es immer tat, und drückte ihr einen Kuss auf die Wange.

„Wenn ich Sie zu mir herauf winken würde, Frau Meiners, würden Sie dem auch so brav folgen wie Oles Herabwinken? Und wenn ja, was müsste ich dafür tun?“ Henrik warf gutgelaunt das Handelsblatt auf den nächsten freien Tisch.

„Dazu müssten Sie mir erst eine Leiter aus dem Schuppen holen“, konterte Viola, und der Schalk blitzte in ihren Augen. „Gott sei Dank ist der Schuppen aber weit, -und ich bin im Dienst.“ Sie wies auf die Bank vor einem der Tische, über den noch kein Sonnenschirm aufgespannt war. „Setzt euch, wenn es euch hier nicht zu heiß ist. Ich hole gleich einen Schirm.“

„Das wäre gut, Viola.“ Henrik merkte erst jetzt, was ihm da über die Lippen  gekommen war. Ohne Verlegenheitspause setzte er hinzu: „Das ist mir zu albern, dass Ole Viola sagt und ich meist hoch offiziell Frau Meiners. Ich werde Sie ab jetzt auch Viola nennen. Als Gegenleistung biete ich Henrik an. Greifen Sie schnell zu, das Angebot hat ein rasantes Verfallsdatum.“

Violas Hand, mit der sie Sommerblumen in einer Vase auf dem Tisch ordnete, zuckte ein wenig, und sie war froh, dass es niemand zu bemerken schien. „Gut. Der Einfachheit halber einverstanden. Ich muss jetzt rein. Kann ich euch was bringen?“

Henrik aber hatte das leichte Zittern ihrer Hand gesehen, und urplötzlich überschwemmte ihn eine heftige Welle der Zuneigung und dann des Verlangens nach größerer Nähe zu dieser schönen jungen Frau vor ihm. Er war in diesem Moment heilfroh, dass er saß.

„Ich möchte einen Eisbecher mit Zitroneneis“, platzte jetzt Ole heraus. „Und auch mit Mango, Erdbeere, Vanille, Waldmeister und Schokolade!“

„Das kostet dich aber ein Vermögen.“ Henrik nestelte an Oles Hemdkragen, ließ dann schützend seine Pranke auf seinem Scheitel liegen. „Ich hole dir gleich deine Baseball-Kappe aus dem Auto, sonst kriegst du noch eine weiche Birne.“

Viola nickte zustimmend zu seinen Worten. Dann suchte ihr Blick den seinen. „Und Sie?“

„Für mich bitte ein Wasser, Viola.“

Viola nickte, nahm vom Nebentisch ein paar leere Gläser mit, und ging ins Haus. Als sie nach wenigen Minuten zurückkam, sah sie, dass Henrik das Handelsblatt demonstrativ mit der Titelseite nach oben auf den Tisch vor sich gelegt hatte. Er wies auf das Bild. „Das haben Sie sicher schon zu Gesicht bekommen, Viola. Was machen wir damit? Verklagen?“

Viola schob das Blatt einfach zur Seite und stellte den Eisbecher vor Ole und das Wasser vor Henrik hin. „Warum?“ fragte sie scheinbar ruhig.

Henrik schien erstaunt. „Sie verblüffen mich, Viola. Ich dachte, Sie würden der Fotografin demnächst die Augen auskratzen wegen der kompromittierenden Schlagzeile.“

„Ach, ich war eine Zeitlang auf der Uni auch auf der Jagd nach guten Schnappschüssen für die Studenten-Zeitung. Wenn nichts los ist, erliegt man schon mal der Versuchung, was los zu machen.“ Sie deutete auf das Bild: “Wir könnten es doch einfach als kostenlose Publicity für jeden von uns nehmen.“

Henrik machte große Augen. „Und das-das Wort Paar stört sie nicht?“

„Es ist doch nur ein Wort. Bedeutung bekommen Wörter erst, wenn die Inhalte wahr werden.“

Henrik hielt ihrem Blick stand. „Darf ich darauf schweigen?“ fragte er leise in ihre tiefbraunen Augen hinein, über denen nur die flatternden Lider Erregung verrieten.

„Ich bitte darum“, antwortete Viola ebenso leise, aber fest.

„Mir ist zu heiß“, klagte da Ole und rieb sich die Stirn. „Holst du mir die Kappe, Henrik?“

„Oje!“ Henrik hieb sich mit der flachen Hand auf die Stirn. „Dich hab ich ganz vergessen.

Ab mit dir unter den Sonnenschirm am Nachbartisch.“

Viola befühlte Oles Stirn. Besorgt sah sie Henrik an. „Fühlt sich kalt an. Er ist auch blass.“

„Was heißt das?“ Henrik merkte nicht, dass er in seiner Sorge seine Hand auf Violas Unterarm gelegt hatte.

„Sieht nach einem leichten Sonnenstich aus, Henrik. Am besten fahren Sie gleich nach Hause, und legen Ole in einen kühlen Raum.“

„Dann los!“ Henrik sprang auf die Füße. „Die Rechnung bezahle ich Ihnen am Freitag in Köln. Ich komme zu Ihrem Vortrag: Spuren der Bäume im Moor seit 11000 Jahren. Das Thema interessiert mich sehr.“

Viola nickte, band ihre Servierschürze ab. „Ich komme noch mit zum Auto.“

„Wie schön.“ Henrik hatte es ohne Überschwang gesagt, aber es ließ Violas Herz schneller schlagen. Sie mied Henriks Blick und war froh, dass sie nach wenigen Minuten seinen Wagen erreichten. Henrik verfrachtete seinen Sohn hinter den Fahrersitz, kletterte er in den Wagen und kurbelte das Seitenfenster herunter.

Als Ole sich nun mit einem Seufzer mit geschlossenen Augen gegen die Rückwand des Sitzes sinken ließ, reckte sich Viola auf die Fußspitzen, steckte ihren Kopf zu Fenster hinein und drückte Ole einen Kuss auf die Wange.

Henrik hatte den Innenspiegel so gedreht, dass er alles, was hinter ihm geschah, hatte sehen können. Er startete den Motor und rief laut in das Motorbrummen hinein: “Ole müsste man heißen…!“

„Ach, armer Kleiner, hab ich dich vergessen?“ Viola war so übermütig wie selten. Von hinten strich sie Henrik flüchtig über die Haare. „Hier, damit du nicht weinst.“

Henrik hielt für einen kurzen Moment ganz still, dann legte er einen Gang ein. „Danke, Mama!“ rief er dröhnend und gab Gas.

Viola sah ihnen mit wild klopfendem Herzen nach. Henriks Hand und Arm winkten noch lange aus dem heruntergekurbelten Seitenfenster heraus

Er beobachtet mich im Rückspiegel, durchfuhr es Viola. Sie winkte weit ausholend zurück und ließ ihren Arm erst sinken, nachdem der Wagen mit dem winkenden Henrik Olsen schließlich um die Ecke der Kirche verschwunden war.

Violas weiche Knie verlangten nach einer Bank. Doch sie hielt nach keiner Ausschau, um sich zu setzen. Dafür war ihr dieses schwach machende Gefühl in den Beinen viel zu schön.

 

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