zurück zu Kapitel 20    Homepage    Inhaltsverzeichnis    vorwärts zu Kapitel 22

 

Rose Ravenstein
 

Das Geheimnis der vergessenen Worte

Kapitel 21

 

An einem Nachmittag der folgenden Woche schleppte Troll einen schweren Eimer mit frischem Lehm, den er zusammen mit Ole am Rande eines Tümpels am Moor ausgegraben hatte, zu Henrik in die Werkstatt. „Uff!“ stöhnte er und ließ den Eimer auf den Boden knallen. Ole mit der Katze Tiger auf dem Arm trottete müde hinter ihm her. Er ging gleich ins Haus, um der Katze den Fressnapf zu füllen.

„Danke, Alter.“ Henrik legte dem Freund die Hand auf die Schulter. „Aber nur du weißt, wo man den richtigen Lehm findet, um damit die Kirsche vor dem zu schnellen Austrocknen zu bewahren.“

„Ein Eimer voll wird aber nicht reichen.“

„Der Lehm ist nur für das Kopfende, da soll das Holz später noch leicht feucht sein. Umso besser kann ich die Gesichtszüge der Skulptur herausarbeiten. Aber ihr beide wart lange weg. Seid ihr nicht vor Hunger gestorben?“ Er nahm bei seinen Worten nicht den Blick von dem Hohleisen, mit dem er gerade ein längliches Lindenholz bearbeitete.

„Es war knapp“, antwortete Troll wie nebenbei. „Aber Viola hatte genug dabei. Das hat uns gerettet.“

Das Hohleisen rutschte in diesem Moment quer über das längliche Holzstück und hinterließ eine tiefe Spur. Aber Henrik fluchte nicht, er hob nur den Blick, und Troll sah ein kleines Funkeln in seinen Augen. „Ihr habt Frau Meiners getroffen?“

„Viola.“

„Meinetwegen Viola, wenn du darauf bestehst.“ Henrik betrachtete missmutig die lange Kerbe in dem Lindenholz in seiner Hand. „Scheinst ja mächtig in sie verliebt zu sein.“

Troll lachte. „Na und? Wer Viola kennt und sich nicht in sie verliebt, dem ist nicht mehr zu helfen.“

Henrik verabschiedete sich endgültig von dem Holz in seiner Hand, über das ihm das Hohleisen gerutscht war, und feuerte es in eine Ecke des Schuppens. „Dann siehst du einen

Menschen vor dir, dem nicht mehr zu helfen ist“, knurrte er.

Troll nahm den Eimer wieder auf und stellte ihn auf das unterste Bodenbrett eines Regals an der Wand. „Brauchst gar nicht so wütend zu sein, mein Freund“, sagte er halblaut, aber mit fester Stimme. „Viola kann schließlich nichts dafür, dass du mit Rosi noch deine spezielle Leiche im Keller hast.“

Henrik Olsen fuhr herum und starrte den alten Maler wie ein Büffel an, der mit gesenktem Kopf eine Eiche umrennen will. Sein Unterkiefer war vorgeschoben. Sekunden vergingen so, in denen nichts geschah, nichts gesagt wurde. Dann zog Henrik Olsen den Unterkiefer zurück,

und seine Halsschlagadern schwollen ab. Er wandte sich ab, hob das Stück Lindenholz auf. „Sonst noch so eine bekömmliche Neuigkeit?“ fragte er schließlich, aber ohne bitteren Unterton.

Troll hatte Mühe, nicht zu grinsen. Er zog einen Flyer aus der Innentasche seines Jacketts, faltete ihn auseinander und reichte ihn Henrik. „Viola hatte die fertigen Flyer ihrer Vortragsreihe in ihrem Rucksack. Ich konnte ihr einen abluchsen. Lies mal.“

„Was soll ich denn damit?“ knurrte Henrik, und die Falte zwischen seinen Brauen erschien wieder.

„Lies doch erst mal. Da ist was für dich bei, wie ich es beim Überfliegen der Themen gesehen habe. Zum Beispiel der Vortrag in vierzehn Tagen in Köln „Von der Holzkohle zum Urwald. Der Eifelwald im Umbruch.“

Henrik Olsen hob erstaunt die Brauen, glättete dann den Flyer und las.

„Du klagst doch immer, dass du keine verlässlichen Planungen bekommst, die dir sagen, woher du in Zukunft die einheimischen Hölzer bekommst, die du ausschließlich verwenden willst.“ Trolls Stimme wurde feierlich. „Die Frau hat ordentlich recherchiert,  das solltest du dir ruhig mal anhören.“

Henrik Olsen faltete langsam den Flyer zusammen. Sein Blick ging über Troll hinweg zum Fenster hinaus. Nach einer kleinen Ewigkeit  brachte er ein kaum sichtbares Nicken zustande. „Das ist vielleicht gar nicht so dumm“, sagte er wie zu sich selbst. „Meine sämtlichen Holzlieferanten haben nämlich keinen blassen Schimmer davon.“

„Nach Köln ist es ja auch nicht weit.“ Trolls Augen blitzten. „Ihr könntet doch praktischerweise zusammen fahren. Denk an die Benzinpreise und die Umweltbelastung.“

Henrik Olsen zuckte zusammen. „Hast du total die Übersicht verloren?“ polterte er. „Womöglich soll die Dame mich noch chauffieren, wie?“

„Macho.“ Troll wusch sich in einem Waschbecken neben der Tür die lehmverkrusteten Hände. „Dir ist nicht zu helfen.“ Dann trat er mit einer Papierserviette zwischen den Händen dicht vor seinen Freund hin und grinste ihn schief an. „Also ehrlich, Henrik“, sagte er eindringlich, „wer dir so auf der Straße begegnet und sieht, was du äußerlich für ein prächtiges Mannsbild bist, kommt niemals auf die Idee, dass du innen drin ein Zombie geworden bist. Siehst aus wie ein Mensch, aber Kreaturen ohne Herz sind nun mal keine.“

Henrik Olsen griff nach einem Zimmermannshammer, der in seiner Reichweite lag, und hob ihn drohend. Aber dazu lachte er. „Jetzt aber raus hier, du Giftzwerg!“ Seinem milden Blick sah Troll an, dass Henrik ihn verstanden hatte. Er atmete auf und sauste so schnell zur Tür, wie er konnte. „Ich bin oben bei Ole. Hoffentlich kommst  du bald nach und servierst uns was Leckeres. Es soll ja auch Machos geben, die ganz passabel kochen…“

„Raus hier!“ donnerte Henrik ihm nach.

 

zurück zu Kapitel 20    Homepage    Inhaltsverzeichnis    vorwärts zu Kapitel 22