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Rose Ravenstein
 

Das Geheimnis der vergessenen Worte

Kapitel 19

 

An ihrem Geburtstag hatte Viola morgens um 1o Uhr Dienst. Das hieß in der Bäckerei „die zweite Schicht“, die dann bis abends dauerte.

„Da kommt ja unser Geburtstagskind!“ rief Frau Wolfgarten, kaum dass Viola die Tür hinter sich geschlossen hatte. Da in diesem Moment keine Kunden warteten, kam sie um die Verkaufstheke herum und legte beide Arme um Viola. „Ganz herzlichen Glückwunsch!“

Frau Wolfgarten hielt Viola auf Armeslänge von sich, und ihr Blick ging bewundernd über Violas weißen Glockenrock und ihre himmelblaue Bluse mit kurzen Armen, die ihre sonnengebräunten Arme auffällig machten. „Das nenne ich schöne Kleidung zum Fest“, lobte sie Viola, die es mit leicht verlegenem Lachen über sich ergehen ließ. Dann griff Frau Wolfgarten in ihre Schürzentasche und überreichte Viola einen bunten, verschlossenen Briefumschlag. „Wir alle hier haben zusammengelegt. Das Ergebnis zeigt mir Ihre Beliebtheit.“

„Danke“, sagte Viola froh und steckte sorgsam den Umschlag ein. „Jetzt muss ich mich aber beeilen. Ich bin schon 10 Minuten über meinen Dienstbeginn.“

„Davon wird heute so bald nichts“, fuhr Frau Wolfgarten fröhlich fort und wies auf den Ständer vor der Theke, der in mehreren Etagen regionale und überregionale Zeitungen offerierte. „Gucken Sie mal, Ihr Bild ist auf der ersten Seite des Lokalteils der Aachener Zeitung.“ „O je!“ Viola ging näher an den Zeitungsständer heran. Neben einem Bild von ihr prangte in großen Lettern die Schlagzeile “Veilchen und Siebenstern“ Über mehrere Spalten hinweg folgte ein Bericht über Viola, ihren heutigen Geburtstag und ihren Forschungsauftrag für den Aachener Naturschutzbund. „Ein schönes Foto von Ihnen, Frau Meiners“, lobte Frau Wolfgarten. „Dieser Meinung ist auch ihre Freundin Anna.“

„Anna ist hier? Wo ist sie?“ Viola fuhr herum.

„Sie wartet schon seiteiner halben Stunde ungeduldig im Gartencafé hinter dem Haus.“ Sie drängte Viola sanft zur Tür zum Hinterausgang. „Nehmen Sie sich heute für Ihre Besuche alle Zeit der Welt, Frau Meiners. Schließlich hat man nicht alle Tage Geburtstag. Ich habe schon mit Dagmar telefoniert, sie ist bereits auf dem Weg hierher und will einspringen.“

„Das ist lieb von Ihnen, Frau Wolfgarten, aber Anna bleibt sicher nicht lange“, protestierte Viola schwach, doch ihre Chefin schob sie einfach sanft zur Tür zum Gartencafé hinaus.

Anna sprang von ihrem Gartenstuhl auf, als sie die Freundin sah und sang unbekümmert laut: “Happy birthday to you!“ Dann lagen sich die Freundinnen in den Armen und sprudelten überschäumende Worte. Als Viola das Päckchen öffnete, das Anna ihr zum Geburtstag in buntes Papier gepackt hatte, hielt sie eine dunkelgrün eingefärbte lederne Tasche für ein Kameraobjektiv in der Hand.

„Die ist aber schön“, bekannte sie überrascht. „Du denkst immer mit, Anna. Die Tasche werde ich bald brauchen, denn durch die Vorträge in Köln komme ich ja endlich zu meinem Objektiv.“

Die beiden Freundinnen ließen sich an einem der mit blauweißen Tischtüchern eingedeckten Tische nieder, und nach ein paar Minuten saßen sie bei Kaffee, Kuchen und zwei kleinen Sektflaschen und tauschten lebhaft die neuesten Ereignisse aus. Anna redete fröhlich und laut, da um diese Tageszeit noch keine Gäste im Gartencafé waren. Bis sie dann plötzlich

mitten im Satz verstummte und mit großen Augen zur Tür sah, die in die Bäckerei

führte. „Ach du Schreck, lass nach“, kam es stockend über ihre Lippen. „Veilchen halt dich fest, du kriegst Besuch.“

Violas Kopf ruckte herum, -und auch ihre Augen wurden ungläubig groß. Gleichzeitig schoss eine dunkelrote Welle in ihre Wangen, und sie fühlte ihr Herz wild schlagen. Wie zur einer Parade nebeneinander aufgereiht standen Henrik Olsen, Ole und Troll da und holten tief Luft. Dann erklang von zwei Männer-und einer hellen Kinderstimme “Hoch soll sie leben!“ Und sie sangen es so schrecklich falsch, dass eine Katze sich jaulend davongemacht hätte. Sie merkten es jedoch gleich, brachen ab, lachten laut über sich selbst.

„Viola, ich habe dir was gemalt. Guck mal!“ Ole hüpfte heran und schwenkte aufgeregt ein Blatt Papier.

„Das ist ja Maori“, bekannte Viola erstaunt und betrachtete das Bild. „Der sieht genauso aus.“ Viola streichelte Ole über den Scheitel. „Gut gemacht, Ole, danke. Hat dein Vater dir dabei geholfen?“

Henrik Olsen lachte rau auf. „Auch wenn ich gewollt hätte, Frau Meiners, Ole hätte sich nicht bei seinem Werk helfen lassen. Das brauchte ich zum Glück also nicht zu testen.“ Eine kurze, betretene Stille folgte seinen Worten, die nur von Trolls Schnaufen unterbrochen wurde. Dazu bedachte er seinen Freund mit einem bitterbösen Blick. Er rettete dann aber die Situation.

Er nahm Viola einfach in den Arm und wickelte ein großes Bild vom Moor aus dem Ölpapier. „Das ist für dich, Mädchen. Es möge dich noch viele Jahre an deine Zeit hier bei uns erinnern. Und an mich natürlich auch“, setzte er lachend hinzu.

Viola strahlte wieder, als sie das schöne Bild sah. Sie hauchte ein “Danke“ und drückte dem Maler einen Kuss auf die Wange. Dann bückte sie sich, und Ole bekam auch einen Kuss, diesmal einen schmatzenden.

Als Viola sich wieder aufrichtete, stand Henrik dicht vor ihr und reichte ihr die Hand. „Glückwunsch zum Geburtstag, Frau Meiners. Ich kam zwar eigentlich nur als Fahrer für die beiden hier mit, aber da ich schon mal da bin…“ Es blitzte spöttisch in seinen Augen, und er setzte hinzu: “Was muss man denn tun, um auch geküsst zu werden?“

Viola biss sich auf die Lippen, nahm seine Hand, erwiderte seinen kurzen Druck und sah dann blitzend zu Henrik auf. „Denken Sie sich doch einfach etwas aus.“ Sie entzog ihm ihre Hand und wandte sich den anderen zu. „Ich bin hier auch noch dienstlich“, rief sie laut. „Ich nehme jetzt von euch Bestellungen entgegen, was jeder an Kaffee und Kuchen haben möchte. Das Ganze geht auf meine Rechnung.“ Troll und Anna riefen: „Bravo!“ Ole band sich schon eine der weißen Servietten, die auf dem Tisch vor ihm lagen, um den Hals. Dann krähte er: “Ich möchte bitte Kakao und Zitroneneis. Dann Himbeereis und dann Mangoeis. Und zum Schluss dann Schokoladeneis. Bis ich platze.“ So saßen denn alle bis in den frühen Nachmittag hinein im gemütlichen Gartencafé und feierten Violas Geburtstag. Später kamen noch Herr und Frau Wolfgarten hinzu, und Dagmar übernahm schließlich ganz die Bedienung. Es herrschte bald ausgelassene Stimmung, hin und wieder stieg helles Lachen in den schönen, warmen Sommertag auf. Nur Henrik Olsen blieb zurückhaltend. Er lachte auch ab und zu, aber wer zu ihm hinsah, dem fiel sein fragender Blick auf, der sich oft in diesen Stunden verstohlen zu Viola hin tastete. Verwunderung lag in diesem Blick. So, als wenn er nicht verstehen könne, dass er bisher wohl einiges übersehen hatte. Einiges, das seinen Blick schließlich bewundernd machte. Viola merkte es. Es machte sie unruhig. Sie bemühte sich aber, es die anderen nicht merken zu lassen, und so blieb sie in diesen Stunden konzentriert für alle ansprechbar und fröhlich.  Wenn sich Henriks Blick und der ihre dann aber doch ab und zu trafen, trennten sie sich nur zögernd voneinander. Stets ein paar Sekunden zu spät, als dass es wie Zufall hätte aussehen können.

 

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