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Rose Ravenstein
 

Das Geheimnis der vergessenen Worte

Kapitel 17

 

In den nächsten Tagen war Viola viel im Moor unterwegs, sodass sie mit den Recherchen für ihren Forschungsauftrag gut vorankam. Ab Mittag war sie dann meist schon zu Hause und dokumentierte auf der Terrasse oder auf der Bank im Garten ihre Entdeckungen - oder auch das Fehlen von Arten. Wenn sie dann wieder einmal nach langem, vergeblichem Suchen das endgültige Fehlen einer Spezies dokumentieren musste, überkam sie stets eine bleierne Traurigkeit, aus der sie nur schlecht herauskam. Oft rief sie dann ihre Freundin Anna in Aachen an, der es meist gelang, sie auf andere Gedanken zu bringen.

So auch heute.

„Mensch, Veilchen!“ unterbrach Anna sie sofort, als sie die Stimme der Freundin vernahm. „Das ist Gedankenübertragung. Ich hätte dich auch in der nächsten halben Stunde angerufen. Ich habe tolle Neuigkeiten.“

„Ich zuerst! Wenn die Neuigkeiten auch leider nicht gut sind“, protestierte Viola. Sie berichtete von den Arten, die sie nicht mehr hatte registrieren können und von denen, die sie zu ihrer Überraschung gefunden hatte.

Anna hörte aufmerksam zu. Dann holte sie hörbar Luft. „Sag ich doch immer, Viola, du bist die Beste am richtigen Ort. Was du alles siehst! Das kannst du dann gleich in deine Vorträge einbauen, die du demnächst in Köln hältst.“

Viola verschlug es für ein paar Sekunden den Atem. Sie drückte ihr Handy fester an ihr Ohr, um nichts zu verpassen, aber es war nur Annas unterdrücktes Lachen zu hören. „Wenn du jetzt nicht sofort erzählst“, drohte Viola, „dann versenke ich dich bei deinem nächsten Besuch hier bei mir im Moor und du kommst erst in paar tausend Jahren als Moorleiche wieder zum Vorschein.“

„Dann ade, du schöne Welt.“ Anna ließ sich nicht in ihrer Stimmung beirren. „Aber nur, wenn ich meinen Schminkkoffer mitnehmen darf. Jetzt aber zum Thema.“ Und in weniger als ein paar Minuten hatte sie ihrer Freundin berichtet, dass bei ihrer Geschäftsstelle des Naturschutzbundes eine Anfrage der Stiftung Rheinische Kulturlandschaft eingegangen sei. Man plane eine fortlaufende Reihe von Vorträgen vor Forstleuten, Landwirten, interessierten Laien und Mitgliedern verschiedener Naturschutzverbände zum aktuellen Thema Artenvielfalt. Da man informiert sei, dass der Naturschutzbund gerade einen Forschungsauftrag in dieser Richtung vergeben hätte, bitte man um Rückmeldung, ob jemand, der an diesem Projekt arbeite, diese Vortragsreihe übernehmen wolle. „Und da hab ich für dich schon so gut wie zugesagt, Veilchen.“ Anna holte angespannt tief Luft.

Viola war einen Moment sprachlos. Was für eine Aufgabe!

„Veilchen, du musst zusagen“, drängte Anna. „Hinter dieser Stiftung stehen die großen

Landwirtschaftsverbände. Die honorieren dir einen einzigen Vortrag höher, als du im ganzen Monat in der Bäckerei verdienst. Überleg doch mal: Du könntest dann dein Objektiv für die Kamera schon nach einem einzigen Vortrag kaufen!“

„Das hört sich in der Tat gut an.“ Violas Gedanken schwirrten aus. „Und warum in Köln?“ fragte sie aufgeregt.

„Die Kölner haben im Gegensatz zu uns  hier genügend Raum für größere

Teilnehmerzahlen. Die Vorträge sind abends. Du könntest dann bei Martina und Petra, übernachten. Die haben ihren Laden mit Indianerkunst dort in der Gegend.“

„Unsere Freundinnen aus der Uni-Zeit?“ Viola schüttelte den Kopf. „Ich könnte aber doch abends zurückfahren.“

„Nix da. In der Nacht noch zurück in die Eifel, da wird nichts von! Ich maile dir die Adresse der beiden. Basta!“

„Jawohl, Mama.“ Viola lachte hell auf. „Wozu brauchst du überhaupt noch meine Zustimmung? Aber nun erzähl ausführlicher.“

Anna sprudelte nun die vorgesehenen Termine herunter, die gewünschten Themen und die Bedingungen für die Vertragsunterzeichnung mit der Stiftung.

Viola wurde froher, je mehr Anna erzählte, denn mit den meisten der gewünschten Vortragsthemen wie “Blühstreifenprojekte“ und “Initiative Wildpflanzensaatgut“ hatte sie sich bereits während ihres Studiums eingehend befasst und sie zu Referaten ausgearbeitet. „Ich kann die meisten Themen aus meinen Dateien hervorholen, Anna“, sagte sie aufatmend. „Also, ich sollte zusagen. Komm mal durch die Leitung, Schätzchen, damit ich dich fest drücken kann.“

„Du sagst also zu?“ rief Anna euphorisch.

„Ja, mail mir die Daten von Martina und Petra; ich melde mich bei ihnen.“

„Da ist aber noch was, Veilchen“, erzählte Anna ohne Unterbrechung weiter. „Hör zu, und versuch cool zu bleiben. Der im Moment überall hochgelobte Henrik Olsen, dieser Bildhauer, hat sich bei uns gemeldet und angefragt, ob er die im Sturm durchgebrochene Kirsche auf dem Grundstück bei dir dort haben könne. Was sagst du dazu?“

„Er hat mich auch schon gefragt, Anna. Ich war es, der ihn an euch verwiesen hat.“ Viola fühlte, wie ihre Wangen warm wurden. Sie erzählte ihrer Freundin in ein paar kurzen Sätzen von der Begegnung mit Henrik Olsen an ihrer Blockhütte, als er seinen Sohn und Troll abholte.

„Und? Wie war er zu dir?“ wollte Anna sofort wissen. „Auch so ekelhaft wie zu mir? Erzähl schon.“

„Ekelhaft? Das kann ich so hart nicht bestätigen, Anna.“ Viola zögerte. „Ich hörte von Troll dem Maler, von dem ich dir erzählte, dass Henrik Olsen schlechte Erfahrung mit seiner ehemaligen Frau gemacht hat. Sie ist ohne ihren Sohn vor ein paar Jahren auf und davon. Vielleicht liegt da der Schlüssel für seine Aggressivität.“

„O Gott, der arme kleine Henrik“, spottete Anna. „Als wenn er der einzige auf der Welt wäre, der Schiffbruch mit dem anderen Geschlecht erlitten hat! Wenn ich mal wieder dort bin, fahr ich zu ihm und wiege ihn etwas auf meinem Arm.“

Viola blieb ernst. „Dann verheb dich aber nicht, Anna.  Mir kommt er stets wie eine schwere, knorrige Eiche vor.“

„Na, er wird sich ja sicher bei dir melden, Veilchen“, schloss Anna. „Wir haben ihm wegen der Kirsche übrigens schon zugesagt. Der Baumstumpf ist somit vom Grundstück, und der Herr kann seinen Frust an ihm auslassen.“ Anna zögerte einen kurzen Moment, dann setzte sie warnend hinzu: „Pass aber auf dich auf, Veilchen. Die Boulevardblättern berichten von Frauenscharen, die ihm zu Füßen liegen“

Violas schönes helles Lachen stieg in den weißblauen Sommerhimmel auf. „Keine Sorge, Schätzchen. Ich will nach Norbert die nächsten Jahre nichts mit Männern zu tun haben. Das hat mir gereicht.“ Viola war froh, dass ihre Freundin sie in diesem Moment nicht sehen konnte  und so auch nicht die Röte, die in ihre Wangen stieg.

„Das haben vor dir schon Millionen von Enttäuschten gesagt, und konnten bald darauf nicht mehr glauben, dass sie es gesagt haben sollten.“ Anna seufzte tief. „Du weißt doch, Veilchen: Verstand und Herz sind sich manchmal so fremd wie Arktis und Sahara.“

 

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