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Rose Ravenstein
 

Das Geheimnis der vergessenen Worte

Kapitel 15

 

Die ganze folgende Woche über konzentrierte sich Viola auf ihren Forschungsauftrag für den Naturschutzbund NABU. Sie war schon morgens früh unterwegs, teils mit ihrem Wagen zum Brackmoor im Hohen Venn, teils auch zu Fuß in die unmittelbare Umgebung des Nationalparks.

Und wonach sie in den letzten Tagen gespäht hatte, entdeckte sie eines Vormittags. Trolls Staffelei mit der Leinwand darauf, die von einer mit Kiefern bestandenen Erhöhung am Moor weithin leuchtete.

Viola freute sich, denn sie mochte den urigen alten Maler, der so gar nicht in irgendein Raster passte. Sie lenkte ihren Schritt zu der Anhöhe hin und machte sich in Rufweite bemerkbar: „Hallo, Michelangelo!“

Troll erschrak kein bisschen, wie sie erkennen konnte. Er wandte ihr den Kopf zu, nickte zufrieden und winkte Viola heran. „Setz dich, Mädchen.“ Er wies auf eine Kiefernwurzel, die trocken und ohne Rinde aus dem Sandboden ragte. „Habe dich schon vermisst. Was macht dein Forschungsauftrag?“

Violas Augen strahlten augenblicklich. Sie packte ihre Kamera aus ihrem Rucksack, drückte auf ein paar Knöpfe und reichte sie Troll hinüber. „Guck mal, meine Ausbeute von heute.“ Sie wies auf das Display auf der Rückseite der Kamera. „Sieh mal, eben ist mir eine Jagdspinne vor die Linse gekommen. Und dieser seltsame Tauchvogel hier.“ Viola runzelte die Stirn. „Leider kenn ich den nicht. Muss zu Hause mal ins Internet schalten, da wird er schon auftauchen.“

Troll blinzelte angestrengt. „Hast du ihn durch dein Fernglas gesehen? Hat er auffallend rote Augen?“  Viola staunte, nickte.

Troll gab die Kamera zurück. „Ein Schwarzhalstaucher. Da hast du Glück gehabt. Die sind selten geworden.“

Viola sah man ihre Überraschung an. „Danke“, sagte sie jedoch schlicht. „Und jetzt habe ich Hunger.“ Sie packte ihr Lunchpaket aus, hielt es Troll hin. „Magst du?“

Troll schüttelte den Kopf. „Hab bestens gefrühstückt, Mädchen. Danke.“ Er quetschte etwas Farbe aus einer Tube auf seine Palette Dann wandte er Viola sein zerknittertes Gesicht mit den listigen Augen darin zu. „Sag mal, der abgebrochene Stamm der Kirsche auf der Wiese hinter deiner Hütte, -wann ist das  passiert? War das der Sturm im Frühjahr?“

Viola nickte. „Ja. Warum?“

Troll schien in Gedanken versunken. Er betupfte mit einem dünnen Pinsel die Leinwand. Und mehr zu sich selbst als zu Viola antwortete er langsam: „Ich hätte Verwendung für den noch stehenden Reststamm der dicken, alten Kirsche. Henrik sucht genau so was für eine neue Skulptur. Sonst verwendet er immer Linde, aber diesmal möchte er Kirsche.“

„Henrik Olsen?“ Viola hielt die Luft an.

„Ja. Er hat mich gebeten, mich mal so nebenbei umzusehen. Und als wir beide nun auf der Bank saßen und du mir deinen Traum erzähltest, da sah ich den Stamm, den Henrik brauchen könnte. Allerdings müsste er ihn sich mal ansehen, denn wenn der Stamm von oben an der Bruchstelle her angefangen hat zu faulen, wird er ihn wohl nicht brauchen können. Was sagst du dazu?“

Viola wusste nicht, was sie denken und fühlen sollte. Auf der einen Seite war Trolls Anfrage völlig unverfänglich. Auf der anderen Seite sträubte sich die Empörung in ihr, die sie seit der Szene im Café Burgblick gegen Henrik Olsen fühlte, ihm behilflich zu sein. Und so schwieg sie auf Trolls Frage hin und besah sich unschlüssig ihre Schuhspitzen.

„Ihr beide scheint ja mächtig aneinandergeraten zu sein“, fuhr Troll einfach fort. „Henrik hat mir nichts davon erzählt. Und auch du magst nicht raus mit der Sprache.“ Er seufzte gespielt und zuckte mit den Schultern. „Ich brauch ja auch nicht alles zu wissen. Das belastet nur. Dennoch komisch, Mädchen, du bist die einzige Frau die ich kenne, die Henrik nicht zu Füßen liegt.“

 „Pah, auch das noch!“ Viola stieß mit der Schuhspitze einen Kieselstein davon. „Das kann ich gar nicht glauben.“

„Henrik flippt nur aus, wenn ihn irgendetwas an seine Ex-Frau Rosi erinnert, die mit seinem damaligen Agenten auf und davon ist, als Ole gerade mal zwei Jahre war.“

„Erst zwei?“ Viola war sichtlich betroffen.

Troll nickte und seufzte. „Als Henrik sie kennenlernte, war sie noch nicht so. Erst später wurde sie ein richtig lockerer Vogel. Und wie sie immer rumlief, den kürzesten aller Röcke und ewig weit aufstehende Bluse.“

Ach, da geht es lang! schoss es Viola durch den Kopf. Meine im Café Burgblick aufgerissene Bluse! Sie wartete auf die aufsteigende Empörung in sich, aber diesmal blieb sie aus.

„Daran hatte Henrik lange zu knacken“, fuhr Troll fort. „Und wie es manchmal aussieht, bis heute.“ Viola nickte. Dann sprang sie unvermittelt auf die Füße. Mit der Rechten strich sie ihre braunen Haare in den Nacken, straffte sich. Sie schien plötzlich voller Tatendrang. „Schluss jetzt mit  Trauerreden!“ rief sie und hielt ihr Gesicht in den milden Sommerwind. „Ich muss jetzt los, Michelangelo. Ich habe Maori nichts zum Picken hingestellt. Außerdem habe ich gleich noch Dienst in der Bäckerei.“

„Dann mal los, Mädchen.“ Troll wischte sich die Hand an seiner Hose ab. „Was ist nun mit der Kirsche? Was soll ich Henrik ausrichten?“

Viola lachte hell. „Ausrichten? Von mir?“ Sie stemmte die Hände in ihre schlanke Taille. „Nichts natürlich.“ Sie zog die Träger ihres Rucksacks über die Schultern. Dann lenkte sie jedoch ein: „Ich bin aber damit einverstanden, dass der dicke Kirschstamm eine bessere Zukunft verdient hat, als bei mir im Garten langsam zu faulen. Dein Freund und Held Henrik Olsen soll sich deswegen direkt mit dem Naturschutzbund in Aachen in Verbindung setzen, denn darüber habe ich ja nicht zu entscheiden.“ Viola schien zufrieden zu sein, denn sie winkte Troll mit leichter Hand zu und wandte sich zum Gehen.

„Danke, Viola!“ rief Troll ihr hinterher.

Viola schien noch etwas einzufallen, sie wandte sich noch einmal um. „Die Telefonnummer des Naturschutzbundes kann sich der Herr ja aus dem Telefonbuch besorgen. Oder aus dem Internet. Groß genug dafür ist er ja.“ Ihr glockenhelles Lachen schallte noch von den Bäumen zurück, als sie schon um eine Kurve des schmalen Pfades gebogen war.


 

Troll blieb mit breitem Grinsen zurück. Dann langte er in seine Jackentasche, zog seine krumme Pfeife hervor. „Darauf jetzt aber ein Pfeifchen, auch wenn ich sie hier im Naturschutzgebiet kalt rauchen muss. Das hab ich mir verdient.“ Seine knorrige Rechte krachte auf sein Knie. „Sakra, sag ich.“

 

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