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Rose Ravenstein
 

Das Geheimnis der vergessenen Worte

Kapitel 14

 

„Das sieht schwer nach Ärger aus“, knurrte Troll, als Henrik Olsens Wagen so schnell um die letzte Kehre des Waldweges brauste, dass die Reifen Steinchen wegschleuderten. Er stand neben Ole und Viola am Holzgeländer der Terrasse und sah seinem Freund entgegen.

Henrik Olsen bremste hart ab, die Handbremse knirschte protestierend. Im Nu war er aus dem Wagen, stand vor der Terrasse, strich Ole kurz über Kopf. Dann schob er sein Kinn vor und blitzte Troll an. „Warum lässt du deine Kiste nicht einfach den Berg hinunterrollen und legst dann irgendwann den zweiten Gang ein? Dann springt der Wagen schon an.“

Troll schien unbeeindruckt. „Damit die Reifen eine tiefe Spur in das schöne Gras auf dem

Waldweg reißen!“ Er schnaubte verächtlich. „ Nee, das überlasse ich den Rüpeln dieser Welt.“

„Und mit dem Thema Rüpel kennen Sie sich ja bestens aus, nicht wahr?“ Viola hatte sich in den Disput gar nicht einmischen wollen, aber der Zorn, den sie gegen Henrik Olsen unten im Café Burgblick verspürt hatte, stieg wieder in ihr auf.

Sie erntete einen zornigen Blick, in dem aber auch eine Spur Neugierde lag.

„Hoffentlich begrüßen wir uns bald wie einigermaßen gesittete Menschen“, schaltete sich nun Troll ein und knallte seinem Freund über das Holzgeländer hinweg die Rechte auf die Schulter.

Viola schob ihre Hand in Richtung Henrik Olsen, obwohl sie sie am liebsten hinter ihrem Rücken versteckt hätte. Ihre Lippen waren schmale Striche.

Henrik Olsen nahm sie nicht. Er besah sich seine gewaltige Rechte und schüttelte den Kopf. „Tut mir leid, Frau Meiners, meine Hände sind noch voller Holzleim. Sie würden daran kleben bleiben.“

„Um Gottes willen. Das wäre die Höchststrafe!“ rief Viola, und man sah ihr an, dass sie froh war, dass ihr diese Worte eingefallen waren.

Henrik Olsens Stirn verlor trotz Violas aggressiver Worte die steile Falte zwischen den Brauen. Er musterte scheinbar uninteressiert Violas Äußeres. An ihrem sonnengelben T-Shirt blieb sein Blick für einen Moment hängen.

Viola aber hatte es gesehen. Sie verzog spöttisch die Lippen. „Wenn Sie Wert darauf legen, Herr Olsen, ziehe ich mich gern um. Ich habe noch die Bluse, bei der die Knöpfe immer so schlecht schließen...“

Und zum ersten Mal sahen Ole und auch Troll, dass in Henriks Wangen Verlegenheitsröte stieg.

Viola sah es auch und hatte sofort damit zu kämpfen, dass die Röte nicht auch in ihre Wangen stieg. So war sie froh, dass Henrik sich nun seinem Sohn zuwandte: „Nimm jetzt deine Wildkatze und komm. Du wirst Hunger haben.“

Ole steckte beide Hände tief in die Hosentaschen. „Viola hat zu Troll gesagt, Tiger sei keine echte Wildkatze. Nur halb oder so.“

Die Röte wich sofort aus Henriks Wangen. Er lachte rau auf. „Da hat deine Viola wohl in der Schule nicht gut aufgepasst, Kleiner.“ Er wies auf die Katze, die sich streckte. „Die schwarzen Schwanzenden haben nur Wildkatzen. Und Tiger hat auch den dunklen Streifen längs des ganzen Rückens hinunter. Wildkatzen sind hier im Nationalpark wieder zu Hause. Lass dir nichts Falsches erzählen, Ole.“

„Besonders nicht von deinem Vater.“ Viola blitzte den Riesen ihr gegenüber herausfordernd an. „Dein Tiger hat viel von einer Wildkatze Ole, aber zum Beispiel nicht den typischen hellen Fleck auf der Brust.“

Für einen Moment war es still auf der Terrasse, bis auf das leise, vergnügte Reiben von Trolls schwieligen Händen hinter seinem Rücken. Henrik Olsen starrte Viola an, als wenn er zum ersten Mal einen Menschen sähe. Es arbeitete deutlich hinter seiner Stirn, offensichtlich aber ohne Ergebnis.

„Jetzt ist aber Schluss!“ mischte sich da Troll ein und nahm Oles Hand. „Komm Kleiner, wir gehen schon mal zum Wagen. Ich möchte nicht Zeuge sein, wenn die beiden sich hier

umbringen.“

Ole nahm die Hand und stieg mit Troll die Terrassenstufen hinab. „Henrik tut Viola nichts“, sagte er aber noch laut und deutlich.

„Und warum nicht?“ fragte Troll, um dessen Augen sich wieder Lachfalten zeigten.

„Weil ich Viola mag“, setzte Ole fest hinzu und begann beim Weggehen zu hüpfen. „und wen ich mag, dem tut Henrik nichts. Ganz bestimmt, Troll.“

Troll sagte noch etwas, was die beiden auf der Terrasse aber nicht mehr verstehen konnten.

Viola hielt Henriks Blick stand. Ihr Kinn hatte sie immer noch angriffslustig vorgeschoben. Was ist das da nur für ein Mensch vor mir? fragte sie sich und versuchte, eine Antwort in Henriks blauen Augen zu finden.

Fast wortgenau das Gleiche fragte sich in diesem Moment auch Henrik Olsen beim Blick in Violas Augen, die aber so intensiv dunkelbraun waren, dass er die Pupillen darin nicht erkennen konnte.

Viola sah den beiden nach. „Wir sollten uns vor Ole ein bisschen mehr Mühe geben“, sagte sie bestimmend.

Henrik Olsen nickte zögernd, reichte Viola dann aber die Hand. „Vielleicht haben Sie recht“, sagte er und atmete auf. „Wir brauchen ja das Kriegsbeil nicht gleich zu begraben, aber wir sollten es in Oles Gegenwart hinter unseren Rücken verstecken. Was halten Sie davon?“

Viola nahm ihre Hand aus der seinen. „Gut.  Aber nur Ole zuliebe.“

„Glasklar, nur Ole zuliebe.“ Henrik nickte und lachte dann dröhnend auf. „Was dachten Sie denn sonst?“ Er deutete einen Gruß an und folgte Troll und Ole.

Viola sah allen nach. Mit verwundertem Kopfschütteln, als sie sah, dass der hünenhafte Henrik Oles Hand genommen hatte und vergnügt mit seinem Sohn auf dem Weg hüpfte.

 

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