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Rose Ravenstein
 

Das Geheimnis der vergessenen Worte

Kapitel 8

 

„Dieses Jahr meint das Wetter es aber gut mit uns, nicht Maori?“ Viola setzte ihren Kea draußen auf der Holzterrasse auf die Lehne ihrs Stuhls. „So, von hier aus kannst du auch den herrlichen Sommermorgen genießen. Aber lass den Schnabel von meinem Frühstück!“ Halb im Scherz hob sie mahnend den Zeigefinger. „Du hast deins schon gehabt.“

Nach dem Frühstück hielt Viola noch für einen Moment das Gesicht der Morgensonne entgegen, genoss die Wärme. Da zerriss das Läuten des Telefons im Wohnzimmer die Stille. Viola zuckte zusammen, sie war mit allen Sinnen weit weg gewesen. „Das wird Anna sein“, sagte sie halblaut, denn das Telefon mit dem Festnetzanschluss hatte geklingelt und nicht Violas Handy. Dieses Telefon hatte der NABU schon vor Jahren installieren lassen, als Handys noch Seltenheitswert hatten.

„Anna, Anna!“ krähte nun Maori und ruderte aufgeregt mit den Flügeln. Er mochte Violas Freundin besonders gern, weil immer mehr los war als normal, wenn irgendetwas mit Anna zu tun hatte. Und Maori liebte Trubel. Am liebsten Chaos.

„Ich hoffe, ich habe dich aus dem Bett geworfen, Veilchen“, begann Anna sprudelnd.

„Du bist nicht die einzige Frühaufsteherin, Anna.“ Viola schilderte kurz, was sie gerade tat, wie schön es draußen war und was sie heute an Arbeit geplant hatte.

„Das lass alles mal für zwei Tage ruhen, Viola“, unterbrach Anna sie schließlich bestimmt. „Wir brauchen dich hier.“

„Ach nee…! Lass hören.“

Anna schilderte konzentriert, dass sich der Naturschutzbund kurzfristig entschlossen hatte, eine von Greenpeace geplante Aktion in Hamburg zu unterstützen. Das Thema war Klimaschutz, und der NABU wollte mit Plakaten und sorgfältig ausgearbeiteten Zahlen, die den Rückgang der Artenvielfalt belegten, beitragen.

„Und dafür braucht ihr mich“, folgerte Viola, als Anna schwieg.

„Wen denn sonst, Veilchen? Schließlich hast du dir in den letzten Jahren einen Namen auf deinem Fachgebiet gemacht. Du musst uns beraten, damit wir keinen Quatsch auf die Plakate oder Flyer schreiben.

Ich weiß, dass du die Namen aller heimischen Spezies, sei es Pflanze oder Tier, die in den letzen 10 Jahren auf Nimmerwiedersehen hier verschwunden sind, im Kopf hast. Dazu musst du gar nicht erst deinen Computer anwerfen. So, das reicht jetzt. Alles klar, Veilchen?“

Viola musste lachen, weil ihre Freundin sich so ins Zeug legte. „Also gut“, seufzte sie, und ihrer Stimme war anzuhören, dass sie sich über Annas Lob freute. „Ich könnte zu dir kommen und die Daten auf einem Stick mitbringen. Ist dein Notebook ok?“

„Alles bestens, Veilchen. Dann bis nachher.“

„Wie bitte? Bis nachher?“

„Na klar. Du brauchst eine knappe Stunde, bis du bei dir alles aufgeräumt und ein paar Klamotten für heute und morgen eingepackt hast. Morgen Abend kannst du wieder zurück sein, wenn wir uns ranhalten. Ich schreib die Texte nach deinen Angaben, und dann machen wir uns zusammen über das Layout her. Du brauchst eine Stunde für die Fahrt hierher nach Aachen,  du kannst also in gut zwei Stunden hier sein, ok?“

„Du hast vielleicht ein Tempo!“

„Also gib Gas, Veilchen. Ich bezieh schon die Couch für dich und versuche in der Zwischenzeit, das ewige Chaos in meinen vier Wänden etwas zu mildern. Vergiss meinen Freund Maori nicht. Futter hab ich noch vom letzten Besuch. Und heute Abend gehen wir zwei bummeln, Veilchen. Wollen doch mal sehen, ob die Mannsbilder hier in der Stadt seit unserem letzten Bummel nicht doch ein bisschen attraktiver geworden sind.“ Sie seufzte. „Man soll die Hoffnung nicht aufgeben.“

Viola lachte laut. Die Art ihrer Freundin tat ihr wie immer gut. Sie wollte gerade sagen, dass sie käme und sich auch freue, als sie merkte, dass Anna schon aufgelegt hatte. Ohne ihr Einverständnis abzuwarten.

„Verrücktes Huhn“, sagte Viola halblaut. Dann zu Maori: „Komm, Maori, wir fahren zu Anna. Und dass du dich dort anständig benimmst, hörst du?“

„Anna!“ krähte der Kea, als ob er alles verstanden hatte. Das wilde Flügelschlagen dazu, das seinen Unternehmungsgeist bekundete, ließ nicht erwarten, dass er Violas Ermahnungen befolgen würde.

 

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