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Rose Ravenstein
 

Das Geheimnis der vergessenen Worte

Kapitel 4

 

Viola deckte den runden Couchtisch mit der bunten Baumwolldecke im Wohnzimmer, brachte eine Schale mit Gebäck, die Teekanne und hauchdünnen Tassen. Dann setzte sie sich in ihren ausladenden Lieblingssessel und steckte ein flaches Kissen mit norwegischem Muster hinter ihren Rücken.

Anna ließ sich auf der Couch nieder, zog sich einen mit Leder bespannten Hocker heran und legte die Beine hoch. „Ah, das tut gut. Die Kurverei im Wagen bis hier in die Einöde geht in die Knochen.“

Kaum, dass Anna es sich gemütlich gemacht hatte, schwirrte Maori heran, setzte sich auf ihre Schuhe und zog mit seinem kräftigen Schnabel an den Schnürsenkeln. „He! So war das nicht gemeint!“ protestierte Anna.

„Ich setze ihn auf seine Stange.“ Viola erhob sich wieder und setzte den Kea auf die Stange, band ihm das Messingkettchen trotz lautstarken Protestes um den Fuß. „Das muss sein, Maori. Du gibst sonst den ganzen Nachmittag keine Ruhe. Ich möchte Anna doch den Traum erzählen. Mal hören, was sie dazu sagt.“

„Ola! Ola! Ola!“ schimpfte Maori  und schlug mit den Flügeln.

„Ja, beschimpf du mich auch noch.“ Viola setzte sich wieder, nahm einen Schluck Tee und erzählte dann ihrer Freundin so genau, wie sie sich nur erinnern konnte, ihren nächtlichen Traum.

Anna hörte mit immer größer werdenden Augen zu. Und erst, nachdem Viola schon lange zu Ende erzählt hatte, sagte sie aufstöhnend: „Puh! Das ist ja ein ganz dickes Ding, Veilchen.“

Viola nickte. Sie schien von der Erinnerung ergriffen zu sein, knetete ihre Hände unruhig in ihrem Schoß.

„Und das warst wirklich du? Ich meine, diese Frau mit dem Licht, das warst du?“

„Zweifellos. Nur ihr Kleid, das sie trug, war mir völlig fremd. Ich habe gar kein Jeanskleid.“

„Hm…“Anna nagte an ihrer Unterlippe. “Du weißt, Veilchen, dass ich ziemlich realistisch bin und wenig von Übersinnlichem halte,  aber hier bin ich doch ratlos. Irgendwer will dir was sagen. Aber wer? Und was?“

Viola seufzte und zuckte hilflos mit den Schultern. „Wenn ich es nur nicht vergessen hätte!“

Dann schwiegen beide lange. Selbst Maori auf seiner Stange war still. Er drehte nur stetig den Kopf, um alles mitzukriegen.

Schließlich erhob sich Anna abrupt von der Couch, machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ach was! Was zerbrechen wir zwei Waisen uns den Kopf darüber? Komm, zeig mir lieber, was deine Arbeit macht.“

Bald darauf diskutierten die beiden Frauen angeregt, hörten sich aufmerksam zu, lachten manchmal, wenn es was zu lachen gab. „Hör dir diesen Quatsch über dein Examensthema, die Biodiversität an, Veilchen. Und das im Internet: Die Biodiversität ist eine Lebensgrundlage für das menschliche Wohlergehen, weshalb ihr Erhalt von besonderem Interesse ist.“ Anna lachte schallend. „Auf solche Plattitüden musst du erst mal kommen!“

Viola nickte, nahm ihre Kamera zur Hand und putzte die Linse des Objektivs. „In der nächsten Woche bin ich fertig mit den Wiesen hier vor meiner Hütte“, sagte sie.

„Dann kannst du uns ja deine ersten Unterlagen mit Berichten und Fotos schicken, oder?“

Viola nickte. „Du bist die Chefin, Anna. Wenn du es anordnest.“

„Jetzt ist es aber gut, Viola! Ich bin nicht deine Chefin. Ich habe dich lediglich damals, als es darum ging, an wen wir vom NABU diesen Forschungsauftrag über die Artenvielfalt hier in der Eifel vergeben sollten, vorgeschlagen. Und man hat dich nicht genommen, weil wir uns schon seit Waisenhauszeiten kennen, sondern weil du einen guten Ruf als Biologin hast. Basta!“

„Schon gut, Anna.“ Viola streichelte den Arm der Freundin. “Du weißt, beim Thema Protektion bin ich empfindlich. Also, ich wollte eigentlich, bevor ich erste Ergebnisse vorlege, das Hohe Venn hier in der Nähe auskundschaften. Ein Hochmoor an der Grenze zu Belgien Es liegt gar nicht weit von hier.“

„Dann mach das doch. Ich werde es dem NABU schon klarmachen.“

Violas Augen leuchteten auf. „Dann könnt ich auch gleich den Siebenstern dazu nehmen. Das ist das Wappenblümchen des Naturschutzgebietes Hohes Venn. Das heißt, wenn ich eines finde. Sie sind ja so selten.“

„Wie sieht das denn aus? Ehrlich-ich habe noch nichts davon gehört.“

„Wie ein Edelweiß. Nur ohne pelzigen Haarbesatz gegen Kälte. Schöne sieben, spitz zulaufende Blütenblätter.“ Dann seufzte Viola.“Ich denke, dazu sollte ich mir dann doch ein neues Kamera-Objektiv für Nahaufnahmen zulegen. Wenn ich nur das Geld dafür hätte!“

Anna schien verlegen. „Tja, reich wird man bei uns nicht. Aber kannst du dir nicht irgendwo was zuverdienen?“

„Hab ich auch schon gedacht. Unten im Städtchen Monschau sucht das Café Burgblick eine Aushilfe. Was meinst du?“

„Das Café Burgblick?“ Anna lachte. „Da kriegst du den alten Berghaus an den Hals, den Inhaber. Das heißt, nicht an den Hals, sondern an die Wäsche.“

„Kennst du ihn?“

„Da hab ich auch mal für vier Wochen gearbeitet. Vor ein paar Jahren, als ich hier oben in der Pension Berghang wohnte. Wir planten damals das Blockhaus, in dem du jetzt wohnst.“

„Du meinst, ich sollte nicht?“ Viola macht ein unschlüssiges Gesicht.

„Aber klar doch, Veilchen! Mach das ruhig. Jobs gibt es heutzutage nicht wie Sand am Meer. Und den alten Berghaus hältst du dir schon vom Leib.“ Sie griff nach Violas Oberarm. „Bei deinen Muskeln! Außerdem tut es dir ganz gut, hier mal ab und zu rauszukommen. Du hast dich nach deinem Norbert jetzt lange genug vergraben. Da unten im Café ist immer was los. Es gibt ja auch nette Leute, Veilchen.“

„Wo nimmst du nur immer deinen Optimismus her?“ fragte Viola, ließ sich aber gern von der Freundin in den Arm nehmen

„Olala! Olala!“ meldete sich jetzt Maori zurück, der die Szene interessiert beobachtet hatte.

„Da ist jemand eifersüchtig.“ Viola lachte. Mit „Olala“ wollte er sich einschmeicheln. „Also komm runter“. Sie öffnete dem Kea das Fußkettchen und nahm ihn herunter. Maori flog gleich eine federversprühende Runde.

Bald darauf verabschiedete sich Anna. Viola brachte sie zum Auto, drückte sie noch einmal. „Komm bald wieder, Anna“, mahnte sie eindringlich. „Mit dir kommt immer viel Frohsinn.“

„Ich verspreche es, Veilchen.“

Viola winkte, und rief laut gegen das Startgeräusch des Motors an: „Wenn du durch Heidgen fährst, pass auf die Mülltonnen auf!  Und auf deinen schönen Riesen.“

Anna winkte zurück. „Den überlasse ich dir, Veilchen!“

Viola hob abwehrend die Hände. „Im nächsten Leben Anna“, rief sie lachend, „frühestens.“

 

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